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Das unfreiwillige Ende!

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24.04.2017

Ich habe verschlafen. Sonst bin ich meist immer zu früh wach geworden, oder habe den Wecker noch etwas weiter gestellt, aber heute Morgen habe ich ihn gar nicht gehört. Du hast eine ganze Stunde verloren, schießt es mir durch den Kopf. Du musst noch zum Fahrradhöker, das wird auch wieder Zeit kosten. Verdammte Axt!

Hastig krame ich alles zusammen. Wasche mich und gehe in die Küche. Von meinen Gastgebern ist nichts zu sehen. Wie auch? Es ist Montag. Stefan und Christiane sind zur Arbeit. Ich bin »Herr« in einem mir fremden Haus. Einzig der Hund steht auf dem Flur. Ein absoluter Teddybär. Auf der Küchenzeile liegen zwei kleine Notizzettel mit einigen netten Worten. Ich schreibe schnell eine Antwort und frühstücke eine Kleinigkeit. Anschließend schließe ich das Haus ab und werfe den Schlüssel, wie abgesprochen in den Briefkasten. Dieses Erlebnis in Worte zu fassen ist echt schwer. Den Dank zu formulieren noch mal eine Spur schwerer.

Unten im Dorf suche ich das Fahrradgeschäft auf und habe erst einmal eine Grundsatzdiskussion am Hals. Nachdem ich den Reifen vorgezeigt und erklärt habe, wo das Problem liegt, bekomme ich die Antwort, dass das Felgenband doch gut aussieht. Auf meine Antwort, dass ich es verschoben, und ein neues Loch für das Ventil gestochen habe, bekomme ich die Antwort, dass man so etwas ja nicht mache. Also nochmal die Geschichte erzählt. Gleiche Reaktion. Also nehme ich ihm die Felge aus der Hand, entferne das Felgenband und ziehe es an den betroffenen Stellen seitlich auseinander.

Sehen Sie?, frage ich und blicke in erstaunt aufgerissene Augen. Jetzt sehe ich das auch, kommt von meinem Gegenüber. Ich weiß nicht. Aber in mir steigt das Verlangen, den Herren zu würgen. Metaphorisch versteht sich. Was dann in den folgenden Minuten der Reparatur passiert, lässt mich meine Haare ausraufen. Und ich habe schon wenig davon. Als der Mantel aufgezogen wird, stellt er erstaunt fest, dass er immer wieder über das Felgenhorn rutscht. Die erneute Aussage, ich hätte den Mantel über Kilometer hinweg breitgeritten ignoriert er gekonnt.

Nicht der Mantel, die Felge sei schuld. Ich nehme ihm das Ding aus der Hand und schaue selber. Okay, an manchen Stellen sieht sie echt einwenig auseinandergedrückt aus. Also eine Wasserpumpenzange her und die Felge vorsichtig gerichtet. Der Mantel passt dennoch nicht. Einen anderen Mantel testen wird noch immer abgelehnt. Ich bräuche eine neue Felge. Gut, sage ich, dann hol her. Ginge nicht. Diese Felgen mit dem Bajonettverschluss hätte niemand liegen. Er schon gar nicht. Es sei so ein Importding.

Ich muss mich hinsetzen. Wieder einen Punkt aufgedeckt, den ich vor der Reise nicht beachtet habe. Ich habe einfach in der Tierhandlung einen Hundeanhänger geholt. Ich habe mir aber keinen Kopf über die Ersatzteilbeschaffung im Pannenfall gemacht. Ich sehe meine Felle wegschwimmen. Reise beendet? Ich frage ein letztes Mal nach einem neuen Mantel. Man könne es ja mal ausprobieren, gibt er als Antwort.

Keine fünfzehn Minuten später rollt der Anhänger wieder. Bockig auf den Kerl bin ich dennoch. Wie kann der mir so einen Schrecken einjagen? Es ändert nichts an der Erkenntnis, dass die Ersatzteile für meinen Anhänger mistig zu beschaffen sind. Aber hätte er gleich den Mantel geholt, wenn er sich nicht so blöde angestellt, sich so geziert hätte, ich würde noch immer mit dem Anhänger naiv durch die Pläne radeln, im Glauben, die Ersatzteile hat jeder oben im Regal.

Es ist mittlerweile fast Mittag. Auf der Straße treffe ich Christiane, die gerade mit ihrem Auto umherkurvt. Nach einem kurzen Plausch trennen sich unsere Wege endgültig. Wunschtraum für mich ist es heute Han.-Münden zu erreichen. Dann habe ich fast einhundert Kilometer. Ob ich das schaffe? Versuchen. Warm ist es heute. Ich ziehe die Fleecejacke aus. Damit ich meine Wertsachen nicht verliere, stecke ich sie in die Tasche und verschließe den Reißverschluss und verklemme es unter dem Spanngummi, das die Taschen auf dem Gepäckträger hält. So radel ich weiter nordwärts.

In Binsförth verliere ich den Faden. In der Nebenstraße ist das Hinweisschild, das die Geschichte des R1 erzählt. In dem Glauben, dass der Weg dort weiter führt, fahre ich dort hinein. Keine fünfhundert Meter weiter befinde ich mich auf einem geschotterten Waldweg. Und es geht bergauf. Soll das so? War nicht gesagt, dass es bis nach Hamburg keine nennenswerte Steigung mehr gibt? Ich mache das Navi an. Zum ersten Mal seit Gersfeld. Es zeigt den Weg geradeaus. Vielleicht ist hier eine Schlaufe im Fluss und ich kann hier rüber abkürzen?

Bild 1 – Entlang der Gleise – Bild 2: ICE-Talbrücke bei Binsförth – Bild 3: Mutti brütet

Also schiebe ich weiter. Dreißig Minuten später stehe ich vor rotweißem Absperrband. Waldarbeiten, Lebensgefahr. Dieses Mal kann ich Maschinen und Kettensägen hören. Da fährst du jetzt nicht weiter. Weiter unten ist laut Navi eine Querstraße. Also nach rechts abgebogen und den Wind der Abfahrt genießen. Doch auch weiter unten ist de Weg nach links mit Absperrband versperrt. Also weiter nach rechts. Weiter den Berg hinunter. Auf den Weg, den ich erst vor kurzem gefahren bin, um auf den Berg raufzukommen. Ganz großes Kino!

Die Zeit, die Kraft. Ich ärgere mich die Krätze. Ich radel zur Hauptstraße zurück und suche nach den kleinen Wegweiseschildern des R1. Unweit vom Geschichtenschild in der Nebenstraße entdecke ich sie dann schließlich. Ich hätte lediglich auf der Hauptstraße bleiben müssen. Ich habe das kleine Schild schlicht übersehen. Eine Ortschaft weiter verliere ich den Weg erneut und finde mich plötzlich auf einer Bundesstraße wieder. Das ist doch heute alles zum Vergessen. Ich fahre bis Malsfeld an dieser vielbefahrenen Straße entlang. Endlich entdecke ich wieder die Hinweisschilder des R1. Sichtlich erleichtert biege ich auf die schmale Fahrradstraße.

In Melsungen gönne ich mir dann endlich eine Pause. Die Beine zur Ruhe kommen lassen. Den Kopf mal unter den Wasserhahn halten. Der Hund liegt zwischen meinen Füßen und grunzt zufrieden vor sich hin. Lottes Augen blinzeln in den Tag hinein.

Kurz vor Guxhagen habe ich dann wirklich noch einmal einen Berg vor mir, der zum R1 gehört. Hier kommen dann auch die großen Schlaufen im Flusslauf. Immer wieder tauchen Brücken auf, die einen die Wasserseite wechseln lassen. Es ist fast schon lästig. Links, rechts, vor, zurück. Nein, quatsch. Aber wenn man sich mal für eine Seite entscheiden könnte. Der Weg an sich ist toll! Die Schwäne brüten im Uferbereich. Die Blesshühner spaddeln über die Fulda und ich schiebe meinen Tross über die Brücken.

Die Dichte an Fahrradfahrern hat hier merklich zugenommen. Gerade habe ich wieder eine Brücke gequert und habe eine größere Kreuzung hinter mir gelassen, da hält ein Auto neben mir. Ich hätte wohl etwas verloren und es würde weiter hinten auf der Straße liegen. Schnell eile ich zurück. Die Tüte mit den Regenklamotten hat sich aus der Befestigung gerüttelt. Glück gehabt, dass der Herr so aufmerksam war. Also schnell alles wieder verzurrt und weiter.

Als ich eine weitere Brücke queren möchte, knackt es plötzlich zwischen den Pedalen. Der Kettenumwerfer hat dicke Backen gemacht. Gestern der Anhänger. Heute erst verfahren, dann die Regenklamotten verloren und nun das. Ob das Teil nun gänzlich kaputt ist, kann ich nicht erkennen. Schalten kann ich. Klappern tut der Esel nun, wie blöd. Kassel ist nicht mehr weit. Dort wird es sicher mehr als ein Fahrradgeschäft geben.

Leider habe ich in der Stadt kein Glück. Nachdem ich mich bei dem ein, oder Anderen durchgefragt habe, finde ich das Geschäft. Die Dame ist gerade dabei abzuschließen. Helfen kann sie mir nicht. Ich glaube eher, sie will nicht. Schließlich ist der Feierabend in Gefahr. Also weiter mit der Klapperschese. Gute sechs Kilometer hinter Kassel entdecke ich das Hinweisschild für ein Hotel. Also das Telefon aus der Jacke geholt und dort angerufen leider sind sie ausgebucht. Ich bekomme aber den Tipp, wo ich noch nächtigen kann. Also dort angerufen. Und, ja, dort ist noch etwas frei.

Während ich an dem Hotel vorbeifahre, was ausgebucht ist, stelle ich fest, dass der nächste Ort von meinem Hotel ein ganzes Stück von der Fulda wegführt. Mir persönlich zu weit weg. Zumal ich wieder einen Berg bezwingen muss. Nein. Ich rufe an und storniere das Zimmer. Also weiter am Fluss entlang. Immer tiefer steht die Sonne. Langsam freunde ich mich mit dem Gedanken an, dass ich das erste Mal wild zelten muss. Auch in dem Ort Wahnhausen gibt es keine Unterkunft. Ein Herr, der rotzevoll ist, bietet mir zwar einen Platz an, aber das ist mir nicht so ganz geheuer. Ich fahre weiter.

Wieder am Fluss begegne ich zwei Inlinern. Ein Pärchen, dass ich anhalte und nach einer Unterkunft befrage. Han.-Münden hat auf jeden Fall etwas. Zehn Kilometer noch zu fahren. Das schaffe ich, bis es völlig dunkel ist. Also klapper ich weiter. Außerdem ist dort ein Fahrradladen, der mir in meiner Lage sicher besser helfen kann, wenn ich früh am Tag dort vorfahre. Aber, nur so nebenbei, es ist ganz schön frisch geworden. Ich halte an und möchte meine Jacke anziehen. Voller Entsetzen muss ich feststellen, dass diese weg ist.

Mt ihr die Geldbörse. Hektisch radel ich den Weg zurück. Bis Wahnhausen. Bis zum Abzweig, wo ich zum Hotel abgebogen bin, das ich storniert habe. Die Jacke finde ich nicht. Ich rufe zu Hause an, dass alles Wichtige weg ist. Zum Glück habe ich das Telefon nicht zurück in die Jackentasche gesteckt, sondern in die Hose. Jetzt geht alles ganz schnell. Die Karten sperren, die Polizei informieren. Dass diese den Fuldarradweg rauffahren könnte, um eventuell zwei Langfinger auf Inliner einzukerkern, darauf komme ich erst eine Woche zu spät. Außerdem habe ich keine Beweise. Es ist jetzt im Nachhinein nur eine Vermutung, dass nur die Zwei mir die Jacke unterm Haltegummi rausgezogen haben können.

Ich rufe beim Hotel »Roter Kater graue Katze« am Fuldaufer an, ob ich mich dort hineinsetzen dürfe, bis mein Taxi eintrifft. Ich darf. Allerdings nur so lange, bis der letzte Gast das Restaurant verlassen hat, weil dann die Haupttür abgeschlossen wird. Dann müsse ich raus. Im Restaurant treffe ich auf eine Gruppe Frauen, die heute ein Seminar in den Räumlichkeiten des Hotels beginnen, und den Abend bei einem Gläschen Wein ausklingen lassen.

Nachdem ich kurz meine Geschichte angerissen habe, entschließen sich einige von ihnen, solange sitzenzubleiben, bis mein Vater eingetroffen ist. Was jedoch bis nach Mitternacht dauern wird. Von Hamburg bis Kassel ist ja nicht mal eben und es ist schon neun Uhr durch. Während ich nun am Rand der Gruppe warte, beschließt diese die Rechnung meiner Getränke zu übernehmen. Sofern ich denn Durst habe. Diese Einladung nehme ich nur zu gerne an. Das Angebot auf etwas zu Essen lehne ich aber ab. Der Kopf ist gerade viel zu voll.

Es dauert bis halb eins, ehe mein Vater auf den Parkplatz gefahren kommt. So verabschiede ich mich von den Ladys und beginne meinen Krempel in das Auto zu laden. Lotte flippt beim Anblick meines Vaters völlig aus. Es sind schließlich drei Wochen vergangen, seit er mir das verstärkte Hinterrad gebracht hat. Die Dame an der Rezeption, die ebenfalls bis zu diesem Moment warten musste, wirkt sichtlich angefressen. Sie hat wohl damit gerechnet, dass die Gäste im Restaurant früher gehen und sie mich hätte vor die Tür setzen können. War aber nicht so …

Am Dienstagmorgen um halb fünf bin ich schließlich zu Hause. Über eintausenddreihundert Kilometer habe ich abgerissen. Drei Tage hätte ich noch gehabt, um näher an zu Hause heranzukommen. Es sollte nicht sein. Zwei Personen, wenn sie es denn waren, hatten etwas dagegen. Ein unschönes Ende. Aber auch das hat mich etwas gelehrt …

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1 Kommentar »

  1. Es ist erfrischend, Deinen Reisebericht zu lesen, wunderbar, wie Du am Anfang die Erlebnisse der Tour schilderst! Aber dann…. die Pannen und negativen Streckenerlebnisse und vor allem das fiese Wetter, ich hätte nicht mit Dir tauschen mögen! Ich denke, Du hast auf dieser Tour vieles dazu gelernt… Ich habe auch einigeTouren allein und ohne konkrete Planung gemacht, es ist einfach spannend und letzendlich erlebnisreich auf den Radwegen in der Republik und anderswo. Ich habe auf meinen Reisen nur gute Erfahrungen gemacht und viele positive Begegnungen erlebt. Das hat man so nur, wenn man allein unterwegs ist.
    Alles Gute wünscht Dir
    Solotalent

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    • Hey! Freut mich wirklich riesig, wenn es gefällt. Rückblickend betrachtet, war es garnicht so schlecht. Wenn es alles „grün“ verlaufen wäre, wer weiß, wie ich mit der Tour umgegangen wäre? Hätte ich mich wie der King auf Erden gefühlt? Schwer zu sagen. So war es unterm Strich vielleicht besser, dass ich gleich einen zwischen die Hörner bekommen habe. Es geht eben nicht alles sauber über die Bühne. Jedenfalls nicht in solch einer Zeitspanne. Es war ein guter „Testlauf“, wenn ich das so behaupten darf. Ich habe viel erlebt, ob positiv, oder negativ, das ist egal. Die Erfahrungen im Ganzen waren wichtig. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich bin wirklich gespannt.
      Gruß und ein traumhaftes Wochenende!
      Mütze!

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