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»Hamburg im Regen«

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02.06.2018

Wer hätte gedacht, dass ein Liedtitel von Mary Roos mal als Überschrift in meinem Blog herhalten wird? Besonders wenn man auf die vergangenen Wochen zurückblickt, als man sich vor Sonne nicht retten konnte. Was so weit ging, dass der Wasserverband zum sparsamen Umgang mit dem kühlen Nass aufrief. Und wie jeder weiß, hat alles irgendwann ein Ende. So auch diese Trockenphase. Seit dem Vorabend fällt Regen.

Eigentlich waren für Samstag Schauer angekündigt. Dauerregen ist es geworden. Für einen Moment bin ich am Überlegen, ob ich heute wirklich mit dem Fahrrad aufbreche. Ich möchte, wie es die Überschrift verraten hat, nach Hamburg. Ein Lieferant feiert sein siebzigjähriges Bestehen und bittet zum Tag der offenen Tür. Die Planung dort mit dem Fahrrad hinzufahren ist seit dem Eingang der Einladung da. Aber nun? Es prasselt das Wasser wie aus vollen Kübeln auf die Erde hinab.

Mach erst einmal die Morgenrunde mit Lotte. Anschließend kannst du dich immer noch umentscheiden. Junge, ist aber warm hier draußen. Angenehm. Und der Regen? Ach, komm! Du hast Klamotten. Außerdem soll es zum Nachmittag hin aufhören. Los, nimm den Drahtesel und fahr los.

Also hin zum Lüheanleger und rauf auf die Fähre. Radel einfach mal auf der anderen Elbseite Richtung Hamburg, denke ich mir. Das hast du noch nie gemacht. War der Gedanke mal ein schönes Foto von der Wasserseite zu schießen, hat mir die Witterung einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Man kann nicht mal das Ufer von Schleswig-Holstein sehen. So muss ein Leuchtturm im Nebel genügen. Norddeutsches Flair, wenn man so will.

Neben mir ist ein weiterer Radler auf dem Fährschiff. Er möchte heute bis nach Glückstadt kommen und dann wieder zurück. Die »von Fähre zu Fähre« Tour. Die fehlt mir auch noch. Irgendwann vielleicht. Er erzählt mir von seinem Traum, die Nordseeroute einmal abzuradeln. Sechstausend Kilometer. Aber eine Fährverbindung von Schottland nach Norwegen sei gegenwärtig nicht gegeben, so sagt er. Vielleicht schafft er es irgendwann mal, denke ich mir und verabschiede mich von ihm, als wir in Schulau an Land gehen.

Am Wasser fahre ich vorerst nicht entlang. Mein Weg führt mich durch Siedlungen. Zur Elbe hin tauchen immer wieder Hinweisschilder zum Elbewanderweg auf. Fahrräder sind dort nicht gestattet. Und plötzlich bin ich in einer bewaldeten Parkanlage. Sandige Wege, durch die das Wasser der Regengüsse seine Schneisen gezogen hat. Hin und wieder tauchen einige mutige Jogger auf. Ansonsten ist es hier seelenruhig. Herrlich. Ganz sicher ist es dem Regen geschuldet. Es stört mich nicht im geringsten. Ruhe eben. Rechts von mir taucht immer mal wieder die Elbe auf. Meter unter mir entdecke ich eine asphaltierte Straße. Hinunter komme ich nicht. Zwar fahre ich an ein, zwei Treppen vorbei. Es ist mir jedoch etwas risikoreich bei der Nässe den Weg abwärts zu nehmen. Und warum sollte ich das auch tun? Die Wege, trotz des Sandes lassen sich super befahren.

Irgendwann lande ich dann doch noch auf der Asphaltstraße. Und in Teufelsbrück hört schließlich der Regen auf. In Övelgönne gelange ich auf den wohl schönsten Abschnitt der Tour. Plötzlich ist der Fahrradweg zu Ende. Naja, eher geht der Weg in einen Fußweg über. Drahtesel nicht gestattet. Was machst du jetzt? Ach, es ist noch nass. Der Tag ist noch nicht soooo alt. So viele Leute sind noch nicht auf den Beinen. Fahr gemächlich dort durch. Absteigen und schieben kann man immer. Also los.

Es ist ein ganz schmaler Pfad an alten Häusern vorbei. Kleine Gärten. Alles ganz eng bebaut und absolut urig. Wieder so ein Fleck von Hamburg, den man mal gesehen haben muss. Eine Touristengruppe kommt mir auf ihren Fahrrädern entgegen. Auch sie fahren. So von Platzmachen halten die jedoch nicht sonderlich viel, was mir doch die Mine entgleisen lässt. Ein paar Zentimeter mehr und jeder wäre ohne Probleme weiter gekommen. Menschen …

Hinter Övelgönne ist es dann auch so ziemlich vorbei mit der Idylle. Die Großstadt, also das Drumherum wird auf Höhe Altona doch sehr dominant. Die Hektik hat mich schnell gepackt. War es eben nur eine kleine Gruppe Radler, ist jetzt quasi jeder, der mir begegnet ein potenzieller Grund für innere Aggressionen. Wie Leute diesen Zustand des Zusammenlebens dauerhaft aushalten können, frage ich mich im Stillen. Ätzend! Und es herrscht kein Hauptverkehr. Das wird am Nachmittag bestimmt nochmal so witzig, wenn alle auf den Beinen sind.

Ab den Landungsbrücken kenne ich den Weg dann fast schon blind. Wie selbstverständlich schlüpfe ich an den vielen Personen vorbei. Einem Pärchen jage ich dazu einen gehörigen Schrecken ein. Einmal muss ich meinem inneren Blödsinn doch nachgeben. So fahre ich langsam im Rücken an sie heran und mit der tiefsten Stimme, die mir die Situation zulässt, sage ich übertrieben langsam: »Sie laufen auf dem Radweg …« In diesem Moment hätte man eigentlich eine Kamera parat haben müssen. Der Blick der beiden ist unbezahlbar. Ob sie mich »Kacke« finden in diesem Augenblick? Bestimmt! Aber das ist mir egal. Mit einem schelmischen Grinsen fahre ich davon.

Am Großmarkt vorbei und unter den Elbbrücken hindurch. Dann noch ein paar Mal abgebogen und dann hast du dein Zwischenziel erreicht. Doch zuvor lande ich beinahe noch auf der Nase. Der Radweg wechselt von der Fahrbahn wieder auf den Seitenweg. Die Kantsteinabsenkung ist jedoch etwas unglücklich. Mein Anfahrwinkel zu spitz. So rutscht das Vorderrad an der Kante entlang. Das Gleichgewicht verabschiedet sich augenblicklich. Wie an Albatros hampel ich auf dem Sattel herum. Nur ein beherzter Hops vom Sattel und ein artistischer Ausfallschritt verhindern Schlimmeres. Ohne Opfer geht die Situation aber nicht vorüber. Die Regenhose reißt im Schrittbereich und an den Oberschenkelinnenseiten völlig entzwei. Klasse. Nein, eigentlich nicht. Aber es könnte schlimmer sein. Ich könnte jetzt mit dem Gesicht voran auf Hamburgs Straßen liegen. Das tue ich nicht. Also beruhige dich. Es ist ein materieller Schaden. Dir geht es gut.

Endlich komme ich auf dem Firmengelände an. Die Leute werden begrüßt und anschließend gibt es Bra-Wu-Po. Was das ist? Bratwurst Pommes. Also! Endlich etwas im Bauch. Danach werden die einzelnen Stände abgeklappert. Von Gedore bis Varta. Einige sind zum Tag der offenen Tür gekommen und präsentieren Neuerrungen. So vergeht die Zeit. Ich beschaffe mir noch eine Regenhose, denn man weiß ja nie. Es ist zwar kein weiterer Regen angesagt. Aber ich denke, sicher ist sicher.

Gute zwei Stunden verbringe ich dort, ehe ich mich dann wieder in den Sattel schwinge. Ich habe zwar eine grobe Richtung, lasse zumeist aber das Bauchgefühl entscheiden, wo ich hin möchte. So radel ich den Billwerder Billdeich entlang. Eine schöne enge, geschwungene Straße. In Bergedorf möchte ich dann versuchen, mich anhand der Straßenschilder Richtung Allermöhe durchzuhangeln. Das geht jedoch gehörig in die Hose.

Bild 1: Das Unterfeuer Somfletherwisch – Bild 2: Teufelsbrücker Mole – Bild 3: Der Alte Elbtunnel

Ich entdecke zwar Schilder, wo Zentrum draufsteht. Auch eine Autobahn wird angedeutet. Der Weg führt mich jedoch wieder Richtung Stadtkern von Hamburg selber. So ein Mist schießt es mir durch den Kopf. Den gleichen Weg zurück? Nein! Ich muss doch das Navi herausholen. Einige Minuten und wenige Kilometer später bin ich wieder auf der erdachten Route. Weg von den Hauptstraßen. Wieder ganz für mich alleine unterwegs. Etwas komisch fühlt es sich jetzt aber doch an. Bin ich diese Strecken hier zuvor immer nur in die Richtung gefahren, aus der ich jetzt gerade komme. Also, mit dem Fahrrad.

Dennoch bin ich zwischenzeitlich so zerstreut, dass ich nicht nur einmal falsch abbiege. Manchmal wende ich direkt. Es kommt aber auch vor, dass ich diesen Weg weiter fahre. Getreu dem Motto, mal gucken, wie ich hier wo herauskomme. Zum Gasthaus »Eichbaum« gelange ich schließlich am späteren Nachmittag. Wenn ich hier jetzt pausiere, wird es dann nicht zu spät, um durch den alten Elbtunnel zu fahren? Nein. Für Fußgänger und Radler gibt es keine Öffnungszeiten. Dann kann ich ja auch entspannt eine Stunde die Beine hochlegen. Man bringe mir ein Kaltgetränk und eine Kleinigkeit zum Beißen!

Als ich dann am alten Elbtunnel ankomme, möchte ich viele der Anwesenden postwendend würgen. Ein Genöhle und Gemotze ist hinter mir in Gang, dass ich mir doch etwas auf die Zunge beißen möchte. Eine derartige Ungeduld habe ich selten erlebt. Bei Einzelpersonen vielleicht. Aber im Kollektiv? Der Fahrstuhl ist gerade einmal eine Minute weg. Es dauert halt etwas. Die Leute müssen unten aussteigen. Die von unten einsteigen. Dann muss es noch wieder rauffahren. Vor allem wie viele der Leute hinter mir einfach nur zu faul sind zum Laufen. Treppen sind doch da. Aber nein. Wir wollen unter der Elbe hindurchlaufen. Das ist Weg genug. Wir wollen doch nicht auch noch die Treppen rauf und runterlatschen! Manchmal hasse ich Menschen!

Habe ich gedacht, dass die Situation sich im Tunnel etwas entspannt, habe ich mich geirrt. Erstmal quetschen sich die Leute wie Sardinen in den Aufzug. Ja nicht noch eine Runde warten! Die zwei Minuten eben waren schon zu viel. Im Tunnel selbst möchte ich dann die übrigen Fahrradfahrer aus dem Sattel treten. Es ist voll. Reger Verkehr herrscht hier. Es wird auf Tafeln extra darum gebeten, rücksichtsvoll durch den Tunnel zu fahren. Wenn die Situation dies nicht zulässt, dann möchte geschoben werden.

Okay, ich schiebe selber nicht. Ich sitze im Sattel und bewege mich als Laufrad durch die Menge. Ich bin etwas schneller als die Fußgänger, aber bei weitem langsamer, als die übrigen Fahrradfahrer. Es ertönen überall deren Klingeln. Auf der Hälfte der Strecke rauscht ein Rennradfahrer an mir vorbei. So hektisch, dass er fast in einen ihm entgegen kommenden Radfahrer rauscht. Nur um Haaresbreite verfehlen sich die Zwei. Ich bin hier im Irrenhaus gelandet, denke ich. Endlich habe ich den Fahrstuhl auf der anderen Seite erreicht. Raus hier!

So geht es vorbei an Industrieanlagen in Richtung Katwykbrücke. Zu meinem Entsetzen ist die an diesem Wochenende gesperrt. Auf den Umweg über den Harbuger Hafen habe ich ja mal so gar keine Lust. Was mache ich jetzt? Der Straße zur Brücke folgen und schauen, ob ich nicht doch hinüberkomme? Oder doch den Umweg? Die Frage wird mir abgenommen, als ein anderer Radler aus Richtung der Katwyk kommt und mir zuruft, dass man hinüberfahren kann. Ja, dann los!

An der Brücke selber ist alles abgesperrt. Ein Güterzug rumpelt gerade zu meiner Seite herüber. Ja, was mache ich jetzt? Scheinbar hat der seinen Drahtesel über die Absperrung gehoben und ist auf diese Weise hinüber gekommen. Mache ich das jetzt auch? Ich stehe da und überlege. Da fällt mir eine Lücke in der Absperrung zum Radweg auf. Die gesamte Absperrbarke fehlt hier. Ja, wenn das so ist. Also ich auf den Radweg, der über die Katwyk führt. Kaum bin ich auf der Mitte angekommen, erblicke ich einen Herrn. Der Brückenwärter. Anschiss in drei … zwei … eins!

Ob ich denn blind bin. Es seien doch überall Schilder. Ich versichere, dass der Durchgang zum Fahrradweg offen sei. Er schaut verdattert und motzt weiter. Als ich dann von dem anderen Radler erzähle, der mir sagte, dass es offen sei, beruhigt sich der Typ kein bisschen. Eher wird er noch aufbrausender. Nach einigen Minuten des gegenseitigen Meinungsaustauschs darf ich dann doch noch die letzten zweihundert Meter zum anderen Ufer fahren. Hier ist die Absperrung tatsächlich intakt. Ich muss das Fahrrad über die Barrikade hieven.

Nun sind es noch gute dreißig Kilometer. Die fahre ich über den alten Elbdeich in Moorburg und Francop. Von dort geht der Weg dann wieder weg von der Haupstraße und ich radel über einen landwirtschaftlichen Weg Richtung Rübke. Von dort geht es dann Richtung Estebrügge, über Jork und schließlich nach Hause. Und somit endet ein schöner, ereignisreicher Tag in Hamburg. Ein Mix aus nervenaufreibenden Situationen, aber auch purer Entspannung. Darüber hinaus habe ich einige schöne neue Ecken entdeckt, die ich zuvor noch nicht kannte.

Fahrstrecke: 119,15 km
Höhenmeter: 250 m
Zeit: 7:37 h
D.-geschw.: 15,62 km/h

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1 Kommentar »

  1. Schick doch mal ein bisschen Regen nach Bremen rüber 😉
    Lediglich 5,6 Liter Regen haben wir seit dem 1. Mai 2018 bis heute gehabt und die Sonne brennt weiter.
    Eine schöne Tour hast du gemacht!
    Liebe Grüße
    Brigitte
    P.S. Ich bin wegen der DSGVO ins Private abgetaucht mit meinem Blog, aber der Reader zeigt mir natürlich trotzdem neue Blogs und deiner hat mir gefallen!

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    • Hallo! Freut mich, dass es gefällt! Ich freue mich über jeden neugewonnenen Leser!

      Ja, aber wenn ich den Blog in Privat stelle, wird er dann auch noch für andere angezeigt? Ich glaube nicht. Ich versuche eben so gut es geht auf Bilder zu verzichten, wo andere Personen abgebildet sind. Bislang geht es. Mal schauen, was die Zukunft bringt …

      Gruß nach Bremen!

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      • moin, nee, wenn du das Blog auf Privat stellst sehen es nur Leute, denen du es erlaubst.
        Du musst dann sozusagen um Einlass bitte *lol*
        Man hat dann zwar weniger Leser, aber echt interessierte und das gefällt mir ganz gut 🙂
        Liebe Grüße
        Brigitte
        P.S. Hast du Impressum, Datenschutzerklärung und Cookie Hinweis?
        Hab nicht drauf geachtet. Aber das ist wohl das mindeste was man haben muss, um nicht evtl. abgemahnt zu werden

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