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BERGFEST!!!

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27.07.2020

Was mache ich denn jetzt? Ich bin seit gut zwei Stunden wach und von meinem Gastgeber ist noch nichts zu sehen und zu hören. Ich habe bereits alles zusammengepackt. Wenn ich jetzt auf die Straße gehe, dann könnte ich heute so richtig vorankommen. Aber einfach kommentarlos verschwinden? Ist auch irgendwie doof. Ich schiebe auf dem Tisch einige Zeitungen zu Seite und finde ein Blatt Papier. Schreibe schnell ein, zwei Sätze des Dankes nieder und trete vor die Tür. Im Hof begegne ich Hans seiner Enkelin. Zumindest kann ich jetzt noch kurz wem mitteilen, dass ich aufbreche.

Heute ist also der Zeitpunkt gekommen. Nach acht Etappen verlasse ich das Leinetal und seinen Radweg. Das Werratal soll mich weiter gen Süden bringen. Zuerst muss ich allerdings dorthin. Ich laufe an der Hauptstraße Richtung Hohengandern und weiter nach Gerbershausen. Nun kann ich es mir aussuchen. Wahlhausen ist, wie am Vortag das angepeilte Zwischenziel, aber wie möchte ich es anlaufen? Der Straße folgen, oder aber über den Kamm rüber? Das Navi meint, dass ich mich mit dem Kamm anlegen soll. So ganz traue ich der Sache aber nicht. Die Wege werden als Wirtschaftswege angezeigt. Aber überall hier sind Wegweiser für Wanderer. Nicht, dass ich mich damit in die Nesseln setze. Also doch Straße? Es wären vier Kilometer mehr. Man kann jetzt gegenhalten, was länger dauern könnte. Berg oder mehr Strecke? Ich entdecke jemanden, der in seinem Garten arbeitet. Den frage ich, ob es mit meinem Wagen möglich ist, über den Talkamm zu laufen. Nach kurzer Überlegung bekomme ich das Ja. Jetzt also doch abkürzen. Ich schaue mir noch einmal das Streckenprofil an. Auf den nächsten vier Kilometern kommen zweihundert Höhenmeter auf mich zu. Pff! Das sind statistisch fünfzig Meter pro Kilometer. Und ich mache mich verrückt. Aber … psst … das ist der statistische Wert.

Bild 1: Langsam Richtung Gerbershausen – Bild 2: Ein Jakobswegweiser am Straßenrand – Bild 3: Über die Kuppel nach Gerbershausen – Bild 4: Ein Blick ins Tal

Ich treffe ein Pärchen, das mit seinem Hund unterwegs ist. Wir haben den gleichen Weg und so gehen wir einige Meter zusammen. Ich erkundige mich ein zweites Mal nach der Wegbeschaffenheit. Alles geschottert. Kein Grund für Sorgenfalten. Zumindest auf dieser Seite nicht. Wie ist das jetzt gemeint? Drüben, im Werratal ist der Abstieg steiler. Aber auch Wirtschaftsweg, dass Autos dort fahren können? Ja. Dann ist alles lässig. Ich beiß mich da schon durch. Und so geht es an den Anstieg. Auf längere Strecke geht es jetzt nach oben. Seit der zweiten Etappe merke ich jetzt wieder so richtig, wie viel Gepäck ich eigentlich dabei habe. So greife ich auf einen Trick zurück, den wir mal in Österreich von einem Bekannten gelernt haben. Meine Schrittlänge reduziert sich um zwei Drittel. Dazu bewege ich mich jetzt wie eine Schildkröte. So langsam setze ich die Schritte. Ein Schwingen des Anhängers ist nicht mehr spürbar. Ich habe es mir schlimmer vorgestellt.

Dann muss ich anhalten und warten. Waldarbeiter versperren mir mit ihrem schweren Gerät den Weg. Ich könnte versuchen an der Seite vorbei zuschlüpfen, würde mich aber zu dicht an den Hang heranführen. Nein, mach keinen Blödsinn! Es ist Zeit genug. Ich warte und wecke dadurch die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Es folgt ein angeregtes Gespräch. Zuerst das Gängige. Wo ich herkomme, wo ich hin möchte. Dann aber die Fragen zum Anhänger und zum Schiebeverhalten. Ich ernte staunende Blicke. Ob es mir an etwas fehlt? Nein. Ich habe alles. So fährt man die großen Traktoren zur Seite und lässt mich passieren. Blöd bei den folgenden Metern, dass das schwere Gerät den Weg stellenweise aufgerissen hat. So kommt nochmal etwas Würze in den Aufstieg. Letztendlich habe ich es aber geschafft. Die weite Sicht über das Tal. Die Dörfer in einiger Entfernung. Ich entdecke ein Pausenhüttchen, lasse mich nieder und werfe einen Blick auf mein Navi. Ich habe eine Wegzweigung erreicht, die in fünf Richtungen weist. Aber eigentlich ist klar, wo ich weiter muss. Ich möchte nur wissen, wie weit es noch bis Wahlhausen ist. Wobei man nur auf die Wegweiser hätte gucken müssen, die einige Meter weiter stehen. Manchmal bin ich echt doof.

Bild 1: Durch den Wald ins Werratal – Bild 2: Weiter nach … – Bild 3: … Wahlhausen – Bild 4: An der ehemaligen innderdeutschen Grenze

Bei meinem Abstieg ist dann etwas sonderbar. Mir kommen mehrere Autos mit österreichischem Kennzeichen entgegen. Ist mir der Film gerissen? Habe ich ein Wurmloch durchschritten und bin in unserem Nachbarland gelandet? Nein, alles gut. Wenige Kilometer weiter passiere ich dann das Ortsschild von Wahlhausen. Zuvor habe ich aber noch ein, zwei brenzlige Situationen mit meinem Wagen. Die Straße bekommt auf gute zwanzig, dreißig Meter ein steiles Gefälle. Das ist auf die Strecke gesehen überhaupt nicht viel. Es ist aber so steil, dass ich fast die Kontrolle über mein Gefährt verliere und es mir abschmiert. Der Schotter unter meinen Schuhen. Wenn ich jetzt ausrutsche, dann herzlichen Glückwunsch. Zum ersten Mal habe ich wirklich Muffen. So stehe ich da, versuche mich und das Teil irgendwie stabil zu halten. Die Birne qualmt. Wie will ich diese Passage überwinden? Letztendlich laufe ich diesen Abschnitt zickzack. Es sieht von außen bestimmt total bescheuert aus, dass ich auf vier Meter Breite immer wieder die Richtung ändere. Es gelingt mir aber und ich kann das Hindernis überwinden. Der Rest ist dann wieder lässig.

Bis Bad Sooden-Allendorf laufe ich heute noch. Dann ist irgendwie die Luft raus. Es ist aber doch erst früher Nachmittag. Was könnte man jetzt noch alles erreichen? Nein! Die Motivation ist total im Keller. Überall entdecke ich Hinweisschilder für Hotels und Pensionen. Meine Gedanken sind so sehr von einem Bett und Dusche besessen, dass mir alles egal wird. Die ersten Unterkünfte, die ich anlaufe, weisen mich zwar zurück, aber im weiteren Verlauf habe ich dann Erfolg. Das Zimmer ist totaler Wahnsinn. Eigentlich ist es eine Wohnung. Einzig die Küche fehlt. Alles richtig gemacht, denke ich mir.

Bei meinem Telefonat mit der Heimat erfahre ich, dass ich geografisch an Kassel vorbei bin. Ist ja porno! Das bedeutet, dass ich so ziemlich die Hälfte der Strecke geschafft habe. Mit diesem euphorischen Gedanken laufe ich später in die Innenstadt und setze mich auf dem Marktplatz in den Außenbereich einer Wirtschaft. Einmal die komplette Karte, bitte. Ich habe zu feiern! Nein, Quatsch. Es bleibt beim Schnitzel. Habe damit aber schon zu kämpfen. Irgendwie ist das jetzt zu viel für den Körper.

Laufstrecke: 19,22 km
Höhenmeter: 270 m
Zeit: 4:25 h
D.-geschw.: 4,33 km/h
Schritte: 27946

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