Wind, Wind, Wind!
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10.04.2018
Um halb sieben schäle ich mich aus meinem Schlafsack. Ich kann nicht mehr liegen. Der Rücken schmerzt. Die Blase drückt. Aber sonst? Geht es mir gut. Nichts mehr zu spüren von den Wehwehchen vom Vortag. Auf dann also, alles zusammen geräumt und in die Pedale getreten.
Der Wind pustet nicht schlecht am heutigen Tag. Das merke ich schon beim Zelt abbauen. Besonders das Zusammenlegen stellt mich doch vor einige dezente Probleme. Gerade denke ich, jetzt schnell noch aufrollen, da pustet die nächste Böe wieder einen Teil auseinander.
Noch schöner wird es, als ich im Sattel sitze habe, merke ich augenblicklich, dass ich den ganzen Kram von vorne habe. Herrlich. Ist ja nicht so, dass man sich im Vorwege Gedanken über die Strecke gemacht hätte. Und dann das. Aber zur Aufklärung. Ich habe so manche Internetseite, so manchen Blog gelesen. Habe mich mit Leuten direkt darüber unterhalten. Ergebnis? Viele haben geschrieben, dass sie auf ihren Reisen oftmals den Weg gen Westen eingeschlagen haben. Dadurch »gefühlt« überdurchschnittlich oft Gegenwind hatten.
Also, habe ich mir gedacht, sei schlau. Fahr auf der Hintour nur ein kleines Stück gen Westen und dann nach Norden. Auf dem Rückweg geht es zumeist Richtung Osten. Woher soll ich denn wissen, dass Mutter Natur genau an diesen Tagen die Spitzenidee bekommt, den Wind aus östlicher Richtung kommen zu lassen? Zumindest regnet es nicht. Im Gegenteil. Die Sonne scheint.
Während ich so am Deich entlangfahre, merke ich doch, wie langweilig es hier eigentlich ist. Hier gibt es gefühlt gar nichts. Deich links. Weg vor mir. Weite Fläche zu meiner Rechten. Das war es. Über Kilometer hinweg. Der Wind, das beschwerliche Vorankommen, die Langeweile. Es nagt an mir. Hin und wieder tauchen zwar Schafherden auf, die mein Treiben mal mehr, mal weniger euphorisch »bejubeln«. Das war es dann aber auch. Es ändert sich quasi nichts. Ob im Außendeichbereich fahren kann? Vielleicht. Habe nicht nachgeschaut. Aber auf der Seite wäre ich dem Wind noch mehr ausgesetzt. Und sind wir mal ehrlich. Einzig der Blick auf die unruhige See, anstelle der weiten Grünflächen, wäre der Unterschied.
In Hooksiel bekomme ich einen Knoten in meine Gedankengänge. Ich fahre ins Dorf und suche den dortigen Supermarkt auf. Endlich gescheit einkaufen. Du hast faktisch nichts mehr in den Taschen. Einzig »Rupert« (Aufklärung folgt in einem anderen Eintrag), zwei hartgekochte Eier und ein paar Scheiben Brot, die über die Tage völlig zerbröselt sind. Also rein in den Laden. Bananen, Äpfel, Schokolade, Mandarinen landen im Einkaufskorb. Anschließend zu den Bänken zurück, die ich auf der Anreise gesehen habe. Nachdem ich am Vortag nahezu gar nichts gegessen habe, stopfe ich mir mit wachsender Begeisterung den Wanst voll. Aber dann überwirft sich alles in meinem Kopf. Aus welcher Richtung bist du vorhin nun exakt gekommen? Die Sparkasse dort … ja, die hast du vorher gesehen.
Ach, fahr einfach links. Du kommst schon wieder zum Deich zurück. Ah, die Hauptstraße dort, die führt da bestimmt hin. Ja, aber Moment. Da hinten links ist der Supermarkt wieder. Super. Das bedeutet, ich hätte vom Deich direkt der Straße folgen können, und wäre viel schneller beim Laden gewesen. Naja, nun ist es zu spät und egal. Also zum Radweg zurück. Rechts herum und das Stück nochmal geradelt, das ich vorhin bereits geradelt bin. Ach, und siehe da. Der Weg führt wieder genau in den Ortskern. Nur etwas später, da ich beim ersten Mal früher abgebogen, und durch eine Siedlung »gedüst« bin. Da ist ja wieder die Sparkasse. Das ist doch kacke!

Also ich mich dann irgendwann doch aus dem Ort herausgewühlt habe, begegne ich einem anderen Radreisenden. Dieses Mal ist es ein »Echter«. Nichts gegen Volkmar. Einen losen Spruch der Begrüßung und es folgt ein kurzer Plausch. Eine Testfahrt sei es. Er möchte mit seiner Frau in naher Zukunft über die Alpen radeln. Daher macht er schon einmal eine Tour auf Probe. Er kommt aus Papenburg und hat die Nacht zuvor in Dangast verbracht. Meinem nächsten Ziel und das eigentliche Etappenziel vom Vortag.
Um den frühen Nachmittag erreiche ich dann den Ort. Die Beine brennen. Der Wind hat die ganze Zeit über gute Arbeit geleistet. Einfach mal eine Weile hinsetzen. Die Muskulatur etwas zur Ruhe kommen lassen, etwas Zuckerhaltiges trinken, damit der Körper wieder etwas Energie bekommt. Aber jetzt in Dangast das Zelt schon aufschlagen? Es ist viel zu früh. Auch wenn die äußerlichen Umstände mein Nervenkostüm doch reichlich strapaziert haben, entschließe ich mich doch weiter zufahren. Fünfzig Kilometer willst du heute auf dem Tacho sehen. Du willst es einfach. Los! Weiter!
Irgendwann entdecke ich ein Schild, dass Brake nur noch fünfundzwanzig Kilometer entfernt sei. Dorthin fahren? Nein. Du hast geplant über Bremerhaven zu fahren. Dann über Cuxhaven die Elbe entlang nach Hause. Die Fähre bei Brake würde dich gewissermaßen zu dicht an zu Hause heranbringen. Fahr weiter Richtung Nordenham.
Bei Neuwarpelergroden weckt eine Schrebergartensiedlung meine Aufmerksamkeit. Moment! Das ist gar keine. Das ist ein Campingplatz. Ist ja urig. Die kleinen Holzhütten, daneben die Wohnwagen. Hätte schwören können. Nein. Nix Schrebergarten. Campingplatz! Ja, los. Hier nächtigst du heute. Die Fünfzig leuchtet auf dem Tacho. Alles erreicht, was gewollt war. Nach anfänglicher Ablehnung des Betreibers bekomme ich doch einen Zeltplatz. Ablehnung deswegen, da er den Zeltbereich gerade ziemlich ramponiert hat. Es wurden einige Bäume weggenommen, wodurch der Untergrund doch recht gelitten hat. Aber, da mich das nicht die Bohne stört, bekomme ich ein Plätzchen. Es stehen aber noch genug, was das Fleckchen schön vor dem Wind schützt.
Ob ich duschen möchte, werde ich gefragt. Was ich zuerst noch ablehne. Aber als ich merke, dass ich doch ziemlich durchgefroren bin, entscheide ich mich doch dafür. Meine erste Bekanntschaft mit Duschmarken. Sofort schießt mir die Erinnerung einer Werbung einer Lotteriegesellschaft in den Kopf, die Ende der 80er, Anfang der 90er im TV lief. Als ein nackter, eingeseifter Mann vor einem Duschautomaten stand und das Wasser Sekunden zuvor abgeschaltet wurde, weil die Zeit abgelaufen war. Man leiht mir sogar ein Handtuch.
In der Dusche selbst vergeht mir dann für einen Moment die Vorfreude, gar die Lust auf Duschen. Kellerasseln. Eine ganze Bande von ihnen. Im ganzen Gebäude sind sie unterwegs. Alter, genierst du dich jetzt an den kleinen Dingern? Wie sieht das aus, wenn du jetzt das Handtuch zurückgibst, weil da die … Denk an das heiße Wasser! Es ist herrlich! Endlich eine vernünftige Kerntemperatur zurück bekommen. Die Nacht schlafe ich wie ein Stein. Morgen geht es in Nordenham über die Weser. Gefühlt ein riesiger Schritt Richtung Heimat. Und hoffentlich mit weniger Wind.
Fahrstrecke: 56,71 km
Höhenmeter: 83 m
Zeit: 5:11 h
D.-geschw.: 10,92 km/h
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