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Unterwegs mit einem Weltreisenden

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21.04.2018

Unverhofft kommt oft. Es ist sicherlich so manches Mal eine hohle Phrase. Was ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ist, dass auch sehr viel Wahres in diesem Satz steckt. Manchmal wirkt es sogar wie ein kleines Wunder. Jetzt mal die positiven Dinge beleuchtet. Negativ betrachtet, erscheint es einem stets wie ein Schlag ins Gesicht. Besonders seit ich mich für das Reisen mit dem Fahrrad interessiere. Zuvor hatte ich irgendwie nie den Eindruck, dass ich besonders vom Glück, oder Pech verfolgt wurde.

Nur jetzt einmal auf die letzte Tour geschaut. Wenn ich den einen Tag die Route von Zetel nicht nach Rastede geändert hätte. Mein Hinterrad wäre wohl dennoch kaputt gegangen. Ein völlig anderer Landstrich. Ob ich dann auch das Hinterrad bekommen hätte? Ich glaube eher nicht. Die Reise wäre damals in seiner »Urform« beendet gewesen. Ich wäre zwar nach Wangerooge gekommen. Das zwei Tage später und dann mit dem Auto. Aber ich hätte mit Sicherheit viel vom jetzt erlebten verpasst. Es sind so viele Dinge, die ich in diesen knapp sechs Wochen, wenn ich die Zeit meiner beiden Touren zusammenrechne. Also die Vier aus dem letzten Jahr und dann jetzt zwei in diesem. Es ist bereits so viel, was ich erfahren und erleben durfte.

So ist es auch in dieser Geschichte. Es ist gefühlt ein Zeitfenster von zehn Minuten. Hätte ich mich anders entschieden, dann hätte es diese Begegnung wohlmöglich nie gegeben:

Es ist Donnerstag, der 12.04.2018. Es ist längst dunkel geworden. Ich habe mich die letzten Tage gegen kräftigen Wind durchgesetzt. Sturkopf voran, könnte man sagen. Ich habe geschwitzt und geflucht. Doch das ist in diesem Moment alles vergessen. Ich stehe drei Kilometer vor zu Hause. Ich habe regelrecht das Bummeln angefangen. Die Luft ist gewaltig heruntergekühlt, seit die Sonne nicht mehr am Himmel scheint. Machst du nochmal eine Pause, frage ich mich gedanklich. Es ist jetzt alles egal. Ob du nun ich zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten, oder erst in einer Stunde zu Hause ankommst. Es ist schnurz-kack-piep-egal.

Geh einfach beim griechischen Lokal noch einmal rein. Ein paar Minuten die Beine zur Ruhe kommen lassen. Gönne deinem Hintern eine Pause. Man merkt ihn doch am Abend, wenn man zuvor stundenlang im Sattel gesessen hat. Schalte ein paar Minuten auf »Standby«. Quatsch etwas mit dem Wirt. Trink noch etwas. Und dann irgendwann nimmst du dir die letzten Meter vor. Keine Hast. Die Hektik des Alltags holt dich früh genug wieder ein.

Bild 1: Neil auf der Hogendiekbrücke – Bild 2: Blütezeit im Alten Land – Bild 3: Goodbye, Neil

Als ich mich verabschiede, und vor der Tür gerade wieder meinem Eselbesteigen möchte, kommt ein Herr mit seinem Fahrrad zügig um die Ecke gedüst. Oh, du machst eine Radreise, bemerkt er. – Auf Englisch? Er, sein Name ist Neil, mache auch eine. Er habe sich auf das Abenteuer eingelassen, mit dem Fahrrad um die Welt zu radeln. Das ist ja verrückt. Nicht dass er das tut. Doch irgendwo schon. Was ich aber viel verrückter finde, dass ich einem solchen Menschen einmal begegnen darf. Und das quasi direkt vor der eigenen Haustür. Es entbrennt ein wildes Geplapper. Gut eine halbe Stunde stehen wir vor dem Restaurant und quatschen, was das Zeug hält. Am Ende habe ich seine Telefonnummer. Er bleibt bis zum Montag in der Gegend. Da ist genügend Zeit, dass man sich noch einmal treffen kann.

Die folgenden Tage, in denen ich mit Neil Zeit verbringe, kommt so einiges zu Tage. Er hat Sponsoren, die ihn unterwegs mit Equipment versorgen. Gerade wartet er auf ein Paket, da an seinem Fahrrad etwas kaputt gegangen ist. Ich bin nicht der Einzige, der sich mit solchen Querelen herumschlagen muss. Da bin ich doch etwas beruhigt.

Die Post bringt einfach das Paket nicht. Da Neil ein wenig auf seine Finanzen achten muss, hat er die Ferienwohnung »aufgegeben«. Kurzerhand hat er sich bei uns einquartiert. Mal ist er am Tag alleine auf dem Fahrrad unterwegs. Mal sind wir es zusammen, wenn Lotte zum Abend hin ihre Runde benötigt. Mal geht es hier in die Wirtschaft. Mal dort. Wird hier vorm TV Fußball geschaut. Mal dort.

Was an seinem Nervenkostüm zerrt, ist, dass seine Lieferung einfach nicht ankommen will. Wenn ich an meine Pannen denke, gerade das kaputte Hinterrad im Vorjahr. Ich »musste« lediglich einen Tag warten. Das fand ich schon übelst ätzend. Er sitzt hier bereits eine ganze Woche fest. Es gefällt ihm schon hier, das beteuert er immer wieder. Aber es brennt halt unter seinen Fingernägeln. Er möchte zu gerne weiter fahren. Hinauf nach Dänemark. Dort muss er Anfang Mai sein, weil er dort einen Vortrag hält.

Seine Reise steht nämlich unter dem Motto, dass er auf mentale Krankheiten aufmerksam machen möchte. Burnout, Depressionen etc. Zu diesem Zweck muss er an bestimmten Orten zu bestimmten Tagen sein, da er dort vor Leuten spricht.

Es ist wieder einer der Tage, an denen er auf sein Paket wartet und es einfach nicht kommt. Was denn kaputt ist, möchte ich wissen. Er deutet auf sein Fahrrad. Der Frontgepäckträger hat der Geist aufgegeben. Er ist an einer Stelle abgebrochen. Ein Aluminiumträger, der unter der Last einfach nicht mehr wollte. Ein zehn Millimeter starkes Material. Aluminium. Das kann meines Erachtens nicht halten. Aber ich kann ihm helfen. In der Werkstatt meines Vaters gibt es ein Schweißgerät für Aluminium.

Mittlerweile ist Neil den dritten Tag bei uns. Ich habe wohl auch zu spät gefragt. Er hat es noch nicht so raus, was Improvisieren angeht. Also schweiße ich ihm den Träger kurzerhand. Leider zu spät. Morgen, am Freitag, soll das Paket endlich ankommen. Neil hat gute vier Tage »verloren«. Dafür aber auch schöne und hilfreiche Dinge erfahren dürfen. Was aber auch auf mich zutrifft. Seine Geschichten, wie er zu Hause aufgebrochen ist. Anfänglich ihn noch so mancher Freund begleitet. Doch mit wachsender Kilometerzahl immer mehr Leute umgedreht sind.

Was für ihn hart war, dass es unten, ganz im südwestlichen Zipfel von England bei Plymouth stark hügelig ist. Ebenfalls in Frankreich. Er ist von der Bretagne über die Normandie gefahren. Auch dort, sagt er, sei es sehr hügelig. So fuhr er über den Norden Frankreichs nach Belgien. Durch die Niederlande und ist schließlich hier in Deutschland, im »Alten Land« gelandet.

Bild 1 & 2: Pause – Bild 3: Die alte Harburger Elbbrücke

Als es Samstag, den 21.04.2018 dann endlich wieder für ihn weiter gehen soll, biete ich an, dass ich ihn ein Stück begleiten könnte. So kommt es, dass am halben Vormittag zwei Radfahrer Richtung Finkenwerder aufbrechen. Es geht zwischen die Obsthöfe hindurch, die just an diesem Wochenende mit der Blüte begonnen haben. Es versüßt Neil seinen Abschied noch mal um einiges. Schnell hier ein Foto und dort ein Bild geschossen. Dann geht es gegen Mittag auf die Finkenwerder-Fähre, die uns zu den Landungsbrücken bringt.

In Allermöhe, beim Hotel/Restaurant »Zum Eichbaum« gönnen wir uns eine letzte gemeinsame Verschnaufpause. Wenige Kilometer später trennen sich dann unsere Wege. Es braucht einige Minuten des Abschieds. Und dann radelt er davon. Neil nimmt Kurs auf Lübeck. Ich selbst radel nach Bergedorf, eine Bekannte aus Lehrzeiten besuchen.

In den frühen Abendstunden komme ich dann ins Grübeln. Wie willst du jetzt nach Hause fahren? Den gleichen Weg zurück? Näääh! Das hast du heute schon einmal gesehen. Ich entscheide mich für die Zollenspieker-Fähre. Mit dem Wissen, dass ich erst im Dunkeln zu Hause ankommen werde. Aber das stört mich gerade nicht. Der Tag ist traumhaft. Die Sonne scheint ohne Pause. Es bläst nicht ein Lüftchen. Naja, ein Dezentes. Aber das stört nicht. Und jetzt zu späterer Stunde sind nicht mehr die Massen an Leuten unterwegs. Das war tagsüber nicht zum Aushalten. Gerade in dem Bereich Landungsbrücken. Aber das liegt lange hinter mir.

Auf unserer Elbseite begleite ich noch kurz eine andere Radreisende. Wo sie herkommt? Kein Plan. Wo sie hinmöchte? Weiß ich auch nicht. Sie war etwas wortkarg. Also habe ich ein paar Gänge runtergeschaltet und bin davon gezogen. Vierzig Kilometer muss ich jetzt noch. In gut einer Stunde ist die Sonne weg. Noch viel zu radeln. Pack es an. Wie es Neil wohl gerade geht …?

Fahrstrecke: 123,63 km
Höhenmeter: 247 m
Zeit: 7:25 h
D.-geschw.: 16,64 km/h

Nachwort:

Wenn ihr mehr über Neil und seiner Reise erfahren möchtet, dann besucht doch einfach seine Internetseite. Dafür einfach mal den Link geklickt. Dort könnt ihr ihn über GPS auch verfolgen. Einen Blick ist es allemal wert. Darüber hinaus ist er auch in diversen sozialen Netzwerken vertreten. Einfach mal in die Suchfunktion eingeben.

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