Zum Inhalt springen

Mit dem Fahrrad hin, mit dem Zug zurück

To get a Google translation use this link.

16.06.2018

Kann man die Touren dieser Zeit mit denen in 2013 vergleichen? Nein, bestimmt nicht. Damals habe ich den Rappel bekommen, dass ich Gewicht verlieren möchte. Also bin ich damals wie ein »Irrer« im Sattel gesessen und habe Kilometer gefressen, wie seit der Zeit, bevor ich die Fahrlizenz erhalten habe, nicht mehr. Selbst das kann man miteinander nicht wirklich vergleichen. Damals, im Alter von sechzehn bin ich am Wochenende immer zu einem Kumpel gefahren, der zwanzig Kilometer von mir sein Zuhause hatte. Dann die Radtouren nach Stade zur Schule. Wenn ich mich daran zurückerinnere. Einmal, dass es schon so unglaublich lange her ist. Zum anderen hat man mich damals schon als »verrückt« bezeichnet.

Und wenn ich weiter in diese Richtung denke, sprich, das »verrückt« sein, dann hat man mich in meinem Leben, was solche Vorhaben betrifft, oft so betitelt. Je, häufiger ich mit diesen Bezeichnungen versehen wurde, desto stolzer machte es mich. Mittlerweile betrachte ich es als das schönste Kompliment, was man mir machen kann. Dass ich »verrückt« bin. Ich bin es gerne! Es reizt, aus dem Rahmen heraus zu brechen und Dinge zu tun, an die viele noch nicht mal denken. Aber ich weiche vom Thema ab.

2013. Damals sollte etwas von der Hüfte verschwinden. Also auf Geschwindigkeit über die Straßen unseres Landkreises. Ernährung umgestellt und so weiter und so fort. So verlor ich in sechs Monaten gute zwanzig Kilo. Und was war dann? Der Löwe in mir brach wieder durch. Der Löwe? Ja.

Der Kabarettist Volker Pispers hat einmal einen wunderschönen Vergleich zwischen der Tierwelt und dem Menschen erstellt. Ein Löwe: Er fängt eine Antilope, frisst sich satt und knallt sich dann in die Sonne und denkt sich, boah, war das lecker. Alleine dieser Satz erklärt meine damalige Einstellung. Die zwanzig Kilo waren weg und ich habe anschließend sinnbildlich in der Sonne gelegen. Dass man vom »Nichtstun« wieder zunimmt. Sicher. Darüber habe ich mir in der Zeit aber keinen Kopf gemacht. Ich hatte mein Ziel erreicht. Dass ich jetzt wieder in der damaligen Ausgangssituation bin. Das sind Naturgesetze. Blöd. Aber ist so. Unwohl fühle ich mich dennoch nicht.

Und jetzt habe ich so viel herumgeschwafelt. Was hat das alles mit meiner heutiger Reise zu tun? Generell mit all den Reisen. Alleine das Ding, wie vielschichtig doch die ganzen Reisen fundieren. Jugend: Kumpel/Schule – Anfang dreißig: Abnehmen – Heute: Genießen.

Aber wo möchte ich diesen Samstag hin? Sicherlich gibt es hunderte Ziele, die man ansteuern kann. Einigen muss man sich auf eins. Das ist nicht so ganz einfach. Ich möchte heute weiter fahren. Weiter, als der Hund laufen kann. Also benötige ich einen Aufpasser. Mein Vater fällt aus, da er selbst unterwegs ist. Also landet Lotte sinnbildlich über einige Umwege bei Manu und Hans. Dafür nun auch hier im Blog ein riesen Dankeschön!

Wo möchte ich denn nun aber hin? Es sollte nach Möglichkeit ja auch etwas passieren, dass es sich lohnt, darüber zu schreiben. Eine Runde ums Dorf fällt dabei schon mal aus. Dafür hätte ich keinen Sitter gebraucht. Da hätte ich Lotte mitgenommen. Das ist es! Cuxhaven! Einmal an die Nordsee und dann wieder heimwärts. Radeln? – Bist du bescheuert? Hin. Ja! Oder aber zurück. Aber nicht beides. Nicht an einem Tag. Das machen meine Beine, allen voran der Hintern nicht mit. Das wären zweihundert Kilometer. Nein. Nur hin. Zurück geht es mit dem Metronom, der alle Stunde Richtung Stade fährt.

Dann wäre da noch die Frage, wie fahren? An der Elbe entlang oder im Binnenland? Hmm … fahr mal durch die Wallapampa. Die »Gefahr« besteht zwar, auf Hauptstraßen fahren zu müssen. Dafür ändert sich die Landschaft möglicherweise häufiger. Die Wege vor allem. Am Wasser kann ich dann ein anderes Mal fahren. Gut! Da das nun geklärt ist. Wie möchtest du über das Land fahren? – Mit dem Fahrrad! Du doof! – Nein! Du hast die Oste im Weg! Die musst du irgendwo queren! – Das entscheide ich spontan!

Bild 1: Auf nach Cuxhaven – Bild 2: Am Hadelner Kanal – Bild 3: Der Fischereihafen von Cuxhaven

Okay, so ganz spontan ist es dann doch nicht. Am Morgen bekomme ich noch einen kleinen Auftrag. Unter der Woche ist ein Ersatzteil falsch geliefert worden. Das muss zum Absender zurück. Es ist klein genug, dass es in die Lenkertasche passt. Dann auf nach Stade. Teil wegbringen und dann weiter. Heute ist es nicht ganz so pumawarm. Die Luft ist zwar dezent schwül, der leichte Wind jedoch wälzt es gut um, dass es auf dem Fahrrad ganz angenehm ist. Der Himmel ist wolkenverhangen und der Tag kommt etwas trüb daher.

Nun bin ich an Stade vorbei und der Weg ähnelt sich dem Weg, den ich damals Richtung Loy eingeschlagen habe, doch sehr. Erst vor Estorf, wo der Abzweig zur Prahmfähre Brobergen ist, ändert sich meine Route. Die nächste Fähre ist heute mein erstes wirkliches Tourziel. Wo die ist? In dem winzigen Ort, der auf den Namen Gräpel hört. Am Osteufer ist ein Wirtshaus und dort ist die Hölle los. Ich benötige mal etwas anderes zum Trinken. Die Kehle ist trocken und das Wasser aus der Plastikflasche am Fahrrad fetzt irgendwie nicht. Also setze ich mich in den Biergarten. Ich habe einen herrlichen Blick auf den Fluss. In einiger Entfernung kann ich die Fähre sehen, wie sie immer wieder die Flussseiten wechselt.

Ob ich etwas essen möchte, fragt mich die Kellnerin. Da das Frühstück bei mir heute ziemlich dürftig ausgefallen ist, sage ich ja. Ein Fehler. Zu spät realisiere ich, dass die Dame ziemlich alleine auf weiter Flur ist. Im Gebäude ist eine Gesellschaft und feiert einen siebzigsten Geburtstag. Das wird noch länger dauern, denke ich, als es mir bewusst wird. Sicher ist die Dame nicht die Einzige, die hier heute herumrennt. Für den Biergarten ist sie jedoch auf sich gestellt. Durch die vielen Fahrradfahrer ist hier ein reges Kommen und Gehen.

Durch meinen Speisewunsch habe ich über eine halbe Stunde verloren. Endlich bin ich auf der Fähre. Ein älterer Herr in Latzhose bedient sie mit all seiner Kraft. Ja, ihr lest richtig. Die Seilfähre in Brobergen ist Motorbetrieben. Diese hier in Gräpel wird von Menschenhand angetrieben. Mit Arbeitshandschuhen bewaffnet legt sich der Herr mit seinem vollen Gewicht in die Kette und zieht allmählich die Fähre über den Fluss. Die eisernen Glieder rasseln durch die Führungen, ehe sie wieder im Fluss verschwinden. Der Mann schnauft. Wie er da so hängt und zieht. Dazu wirkt er etwas genervt. Scheinbar stelle ich zu viele Fragen. Dumm nur, dass mich das Geschehen hier gerade echt interessiert. Wie viele Leute so am Tag die Flussseite wechseln, ist eine Frage. Er führe keine Strichliste, ist die verschnupfte Antwort. Träge bewegt sich das Wasserfahrzeug über die Oste.

Während mir auf dem Weg nach Gräpel noch viele Radfahrer begegnet sind, ändert sich das auf dieser Seite. Sicher kommen mir noch einige auf dem Weg nach Lamstedt entgegen. Dahinter jedoch wird es verdammt einsam. Als ich in Mittelstenahe dann die Hauptstraße verlasse, scheint es wieder einmal so, als gehöre mir die Welt ganz alleine. Die landwirtschaftliche Straße ändert nach einigen Kilometern seinen Belag zu einem Schotterweg. Es geht mal durch kleine Wäldchen, dann wieder an weitläufigen Feldern vorbei. Mutter Natur lässt ihren zwitschernden Chor erklingen. Das sanfte Rauschen des Windes in den Baumwipfeln lässt den Herzschlag doch merklich ruhiger werden. Bis zum dem winzigen Ort Bovenmoor begegnet mir keine Menschenseele.

Nahe Odisheim folge ich dann eine Zeit lang dem Hadelner-Kanal. Aber habe ich gedacht, dass dort vielleicht einige Paddler unterwegs sein könnten, sehe ich mich getäuscht. Niemand ist hier unterwegs. Erst vor Ihlienworth begegnen mir Menschen in einem Boot. Es ist die örtliche Jugendfeuerwehr, die ein Grillfest für sich macht. Dort mal über den Wasserweg fahren, hat doch auch etwas. In Ihlienwort selbst ist wieder etwas mehr Leben. Es ist »Holzmarkt«. Mittlerweile zwar mehr ein Jahrmarkt, aber Jahrzehnte zurück, so versichert man mir in »Rüsch’s Sommergarten«, wurde hier auf den Straßen mit Holz gehandelt. Lediglich der Name der Veranstaltung habe überlebt. Ob ich dieses Jahr wieder zum Schützenfest komme, werde ich gefragt. Man habe mich im Vorjahr vermisst. Ich weiß noch nicht, gebe ich zu verstehen. Das würde eine spontane Entscheidung werden.

Nach dieser Pause fahre ich dann auf dem kürzesten Weg meinem endgültigen Ziel entgegen. Cuxhaven. Gute zehn Kilometer vor dem Ortsschild trübt sich meine Stimmung. Das Navi hat mich direkt zur Bundesstraße geführt. Was ein Dreck! Habe ich es bis hier her mit Bravour geschafft, wirklich belebten Hauptstraßen auszuweichen, habe ich nun eine der Strecken erwischt, die jedes Auto fährt, um nach Cuxhaven zu gelangen.

Ich habe gute zwei Stunden länger gebraucht, als ich eigentlich vorhatte. Dazu knurrt der Magen unüberhörbar. Ich entscheide mich erst etwas zu essen, ehe ich mich zum Bahnhof begebe. So lande ich in dem Lokal »Die Kiste«! Und der Laden hat es mir echt angetan. Die ganze Speisekarte besteht quasi aus Kleinigkeiten. Wenn man wollen würde, dann könnte man wirklich auf die Frage, was man denn essen möchte, antworten: Einmal alles, bitte. Das schaffe ich heute jedoch nicht. Ich muss auch etwas auf die Uhr achten. Den Zusatz, nach Duhnen zu fahren und wirklich einmal kurz an der Nordseeküste zu sein, habe ich gestrichen. Ich habe schon überzogen. Eigentlich wollte ich von der anfänglichen Planung her längst in der Bahn sitzen.

Als ich in Stade ankomme, liegen dann die letzten gut zehn Kilometer vor mir. Diese fahre ich dann an der Elbe entlang. Einmal noch etwas Kontrast in die heutige Tour bringen. Mir tut der Hintern weh. Die Beine sowieso. Aber es war ein wirklich toller Tag! Und noch schöner: Morgen geht es ein weiteres Mal los!

Fahrstrecke: 109,08 km
Höhenmeter: 199 m
Zeit: 6:23 h
D.-geschw.: 17,06 km/h

______________________________________________________________________________________

»Mütze On Tour« war, ist und wird für seine Leser immer kostenlos bleiben. Wenn Sie meine Berichterstattung allerdings mit einem kleinen Obolus honorieren möchten, dann klicken Sie bitte diesen PayPal-Link.
Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung ganz herzlich!

1 Kommentar »

  1. Hey Mütze,
    ein schöner Bericht (ich mag Deine Art zu schreiben), der mich total neugierig auf die Region macht. In etwa 4 Wochen werde ich mit meiner 7-jährigen Tochter auch mit dem Velo dort unterwegs sein. Wir starten in Bremerhaven und werden uns dann den Elberadweg in 3 Wochen bis nach Leipzig runterschlängeln.
    Vieel Grüße aus Leipzig!
    David

    Like

    • Hey, David!
      Dann kommst Du direkt bei mir vorbei! Vielleicht besteht ja das Interesse, dass man sich mal trifft. Auf ein Bier, oder so? Gib mir einfach Bescheid, wenn ihr im Raum Stade seid.
      Gruß Mütze

      Like

      • Gern 🙂 Ich weiß aber noch nicht genau wann wir in Stade vorbeikommen. Aktuell plane ich unseren Hamburg -Aufenthalt und bin auf der Suche nach einem Zeltplatz auf das Elbe-Camp gestoßen. Kannst Du das empfehlen?

        Gefällt 1 Person

      • Ich war da noch nicht. Bin letzt zwar daran vorbei gefahren. Aber ich bin auf der anderen Elbseite heimisch. Von daher leider keinen Schimmer …

        Like

  2. Du schreibst so, dass man anfängt zu lesen und nicht aufhören kann bis zum Ende.
    Wirklich unterhaltsam und interessant!
    Ist natürlich auch besonders schön, wenn frau die Ecken einigermaßen kennt, die du beschreibst 🙂

    Gefällt 1 Person

    • Es freut mich wirklich sehr, dass es gefällt! Ja, mit ein wenig Ortskenntnisse ist es wirklich leichter.

      Ich bin gerade am Bericht vom vergangenen Sonntag dran. Hoffe, ich bekomme ihn morgen fertig.

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar