›Rama‹ und ›Sanella‹
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02.08.2018
Ich habe lange überlegt, welche Überschrift ich diesem Beitrag geben möchte. Es gab viele Eindrücke an diesem Tag. Beziehungsweise auch von den Erlebnissen des Abends vom Vortag noch. Vorab: Ja, es sind die Namen zweier Margarinehersteller. Ja, ich habe danach zwei Menschen betitelt. Es mag sicher nicht das Netteste von mir sein. Aber, ich habe die Beiden gesehen und es kamen Gedanken hoch, die ich schon jahrzehntelang in den Irrungen und Wirrungen tausender Erinnerungen begraben gedacht habe. Falsch! Aber dazu später mehr. Darüberhinaus, habe ich auf dem Festival selber keine Bilder gemacht. Also, die ich hier veröffentliche. Mir war die rechtliche Lage nicht ganz klar. Daher setze ich mal auf meine Kreativität und habe Collagen aus den Bildern dieser Wanderung gebastelt.
Dieses Festival ist mein Zweites nach Wacken 2017. Wie wird man auf solch einem Festival wach? Bisher bekannt: Lärm der Nachbarn, Regengeräusche, der Ruf der Natur. Plötzlich aufkommende Wärme ist neu. Wie spät es ist, kann ich nicht sagen. Wobei spät das falsche Wort ist. Es ist ganz früh am Morgen. Gefühlt keine acht Uhr. Diese verfluchte Sonne. Ich habe es geschafft, dass ich mit dem Eingang genau gen Osten liege. Okay, ob es in der anderen Zelthälfte angenehmer wäre, wenn ich dort liegen würde, wage ich zu bezweifeln. Dazu ist der Raum wohl auch zu klein. Ja, was macht man also, wenn einem die Suppe schon ohne auch nur die geringste Bewegung vom Kopf rennt? Aufstehen. Den Donnerbalken aufsuchen. Wer weiß, wie das wird, wenn die Horde aktiv wird. Schlaftrunken stapfe ich Richtung der Dixies.
Wieder am Zelt heißt es den Vormittag rumbekommen. So sitze ich in meinem Campingstuhl und beobachte die Umgebung. Wie langsam überall die Reißverschlüsse surren und mal mehr, mal weniger ›zerbombte‹ Gestalten hervor kommen. An dieser Stelle lässt mich ›Rama‹ besonders Schmunzeln. Wer ›Rama‹ ist? Ein Herr, der bestimmt Mitte, Ende sechzig ist. Schon am Vorabend hat er mit seiner Begleitung bei mir und anderen Kopfschütteln ausgelöst.
Aber jetzt die Erklärung, warum ›Rama‹ und ›Sanella‹? Ich war damals noch ziemlich klein. Ich war mit meiner Mutter beim Fleischer, als ein Pärchen den Laden betrat. Das Erscheinungsbild der Zwei war äußerst bescheiden. Dezent zerlumpte Kleidung, wirre Frisuren. Durchaus fettig und speckig. Wer das sei, fragte meine Mutter die Verkäuferin, als man wieder alleine im Laden stand. Das seien ›Rama‹ und ›Sanella‹. Sie würden in einer Sozialeinrichtung leben. Wildes Erscheinungsbild, aber immer nett und immer eine Bauchtasche voller Geld dabei. Da niemand wusste, wie sie hießen, hatten sie die Namen ›Rama‹ und ›Sanella‹ bekommen. Ja, es ist gemein. Aber so erlangten sie gewissen Kultstatus bei mir und meiner Mutter. Jedes Mal, wenn wir mit dem Auto unterwegs waren, und wir sie sahen, hieß es: Guck mal. ›Rama‹ und ›Sanella‹ sind wieder unterwegs.
Ich entschuldige mich wirklich. Ich kann mir nicht helfen. Ich habe diese zwei Menschen hier jetzt in Wacken auf dem Campingplatz gesehen und sofort ist die Assoziation in die Vergangenheit gekommen. Es ist von den Gesichtern her nicht die Bohne Ähnlichkeit vorhanden. Aber so, wie sie hier seit gestern umherlaufen. Es ging beim Zeltaufbau schon los. Gut, ich will jetzt nicht sagen, dass ich potentiell besser ausgesehen habe, als ich meinen Kram aufgebaut habe. Jedoch waren diese Zwei etwas Besonderes. Sie war der Kommandodrache. Wie sie mit ihm umgesprungen ist, war schon ziemlich heftig. Er durfte nämlich fast alles alleine aufbauen. Bei der Hitze? ›Rama‹ und ›Sanella‹ hatten jeder für sich ein Zelt dabei. Was schon irgendwie komisch war. Sie wirkten auf mich anfänglich, wie ein Paar, das schon jahrzehntelang zusammen ist. Wahrscheinlich zu lange. Denn jeder hatte halt sein eigenes Zelt. Ein Drei Mann Zelt. Jeder! Für sich! Kann auch sein, dass es für vier Personen ist. Dazu kommt, obwohl sie zusammen, mit einem Auto angereist sind, stellen sie die Zelte mit den Eingängen voneinander abgewandt auf.
Es sind diese aufblasbaren Zelte. Man pumpt vier oder fünf Würste mit Luft voll und schon steht das Zelt. Stabilität kommt durch das Abspannen. So sieht es jedenfalls aus. Und es sind verdammt viele Leinen an den Zelten. Immer wieder beugt sich ›Rama‹ vor und entblößt seinen halben Hintern. Ob jemand Kleingeld hätte, frage ich. Warum? Vielleicht tanzt er ja, wenn wir was in den Münzeinwurf stecken. Die Leute schauen auf Angedeutetes und schütteln sich bei dem Gedanken. Ja, das ist gemein. Aber das ist Wacken. Das gehört so. Sarkasmus und so! Das war und ist im Übrigen immer der Leitsatz vom Torbo. Wenn mir etwas sonderbar vorkam, sagte er, das sei Wacken und gehöre so. Damit hat man quasi alles erklärt.
Mitte Vierzigjährige, die bis zum Bauchnabel im Schlabberschlamm sitzen und wie kleine Kinder rumpatschen? Das ist Wacken. Das gehört so. Dies ein Bild vom Vorjahr, beim letztjährigen Festival erlebt. Ein Mädchen, das ihren Freund anbrüllt, dass ihr der Dönermann auf ihren vegetarischen Döner womöglich Fleisch mit drauf gepackt hat. Der Freund auf die Veganerbude deutet und sie ihn dann anfaucht, dass sie doch nix Veganes frisst? Das ist Wacken. Das gehört so. Nein. Eigentlich ist das so ein Mädchen-Ding. Niemals das Diskutieren anfangen. Man kann an dieser Stelle nur verlieren! Und ja, ich hacke gerade auf einem Klischee herum.
Eine Geschichte vom Torbo, wonach ein Typ, der spontan aus einer Diskussion gefragt wurde, ob Legoslas aus den ›Herr der Ringe‹ Filmen schwul sei oder nicht, emotionslos antwortete: Der Elbe hüpft von Ast zu Ast, bis der Ast ins Arschloch passt. Anschließend ohne auch nur einen Mucks mehr von sich zu geben, weiter ging und eine jubelbrüllende Meute zurück ließ. Das ist Wacken. Das gehört so. Oder ein anderer Typ, der sich Wonne, Wonne in einer Pfütze wälzte, obwohl es tagelang nicht geregnet hatte und sich diese Pfütze nur wenige Meter neben den Dixies befand? Das ist Wacken! Das gehört so! Ich könnte noch stundenlang weiter aufzählen. Aber ich weiche entschieden vom Thema ab.
›Rama‹ und ›Sanella‹!
Sie biestet ihn halt an, wie er die Zelte aufzubauen hat. Er tut, was er kann. Doch bei der Hitze und dem Alter wohl nicht das Leichteste. So kommt es, dass er auf halber Strecke vor Anstrengung erst einmal in die Gegend reihert. Mitten zwischen die anderen Zelte. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie sich dieses Phänomen erklären lässt? Richtig. Das ist nicht Wacken. Das ist eine Scheißhitze. Dazu der Staub in der Luft. Im Vorjahr, als es so verregnet war, hat man bei dem Matsch lediglich die Stiefel, vielleicht die Hosenbeine dreckig gehabt. Sofern man sich halt nicht in den Schlamm warf. Dieses Jahr hat man den Dreck einfach überall. Man kann sich nicht einmal dagegen wehren. Keine fünf Minuten, nachdem man glaubt, man hätte sich gut gewaschen, sieht man aus, wie vorher. So mal kurz in die Zukunft gegriffen. Es sind verdammt viele zeitliche Sprünge heute hier. Kann man dem überhaupt folgen? Ich hoffe …
Nach den ganzen Minigeschichten und Rückblicken kommen wir mal wieder auf den heutigen Tag zurück. Ich bin am frühen Morgen durch die aufkommende Wärme wach geworden und beobachte meine Nachbarn. Und wir kommen wieder auf ›Rama‹ zusprechen. Der versucht nämlich gerade, sich an einer seiner vielen Zeltleinen zu strangulieren. Wohlgemerkt: Es sind die Leinen von seinem Zelt. Er hat sie selber gespannt. Nicht die, von anderen. Kaum hat er seine Würgefallen alle umlaufen, packt er sich fast mit Hilfe einer Zeltleine von ›Sanella‹ aufs Maul. Auch die hat er am Vortag selber gespannt. Ich bin gezwungen, mir auf die Zunge zu beißen. Es ist schon jetzt ein gigantisches Schauspiel. Unfassbar. Als er bei seiner Begleitung am Zelt anklopft. Ja, er klopft! Wird er mit einem freundlichen ›Verpiss Dich‹ empfangen. Ein Traumpaar, wenn man mich fragt.
Eigentlich könnte ich NUR über diese zwei Gestalten schreiben. Schon jetzt sind es zweieinhalb Seiten.
Gegen Mittag erfasst mich dann doch nochmal die Müdigkeit. Ich wage es, mich in meinen Brutkasten zu legen. Ich schlafe sogar ein. Gegen späten Nachmittag höre ich dann die Stimme vom Torbo. Er und seine Maus möchten aufs Festivalgelände. Gut. Raus aus der Gluthöhle, das Gesicht mit Wasser abgewaschen und ab unter die Menschen gemischt. Weit kommen wir drei nicht. Torbo bekommt unerwartet Kreislaufprobleme. Also ran an eine der Wasserstellen. Hinsetzen und Hoffen, dass es besser wird. Minuten später scheint es der Fall zu sein. Nein. Die Probleme bleiben. Er möchte zum Zelt zurück. Ich könne aber weiter gehen. So trennen wir uns.
Viel von den Bands bekomme ich nicht mit. Einzig Udo Dirkschneider schaue ich mir komplett an. Laut dem Torbo hat den mal ein Metal-Fachmagazin folglich beschrieben: Klein, tarnfarben und tonnenförmig. Worauf ich meinte, dass er dann als ›Brülltonne‹ durchgehen würde. Denn, wie soll ich diesen Typen vom Gesang her beschreiben. Entfernt erinnert er mich an den Frontmann von AC/DC. Das ist eigentlich alles, was ich aus der Stunde mit diesem Auftritt mitnehme. Die Musik ist gut. Viel Krawall und Gebrülle halt. Schon okay, so als Einstieg in drei Tage Metal.
Aber irgendwie haut mich der derzeitige Moment nicht vom Hocker. Ich schlender über das Festivalgelände und lande im Zelt W.O.Art, wo verschiedene Künstler ihre Werke rund um Heavy Metal zeigen. Ich entdecke eine Ecke, wo Festivalbesucher sich selbst in der Malerei versuchen können. An der Stelle geht ja die Kreativität mit mir durch. Während draußen ›Keine Ahnung‹ auf der Bühne rumballert, patsche ich mit Aquarellfarbe herum. Es ist nicht Acryl, wie ich es damals in den Netzwerken geschrieben habe. Aquarell. Aber es beginnt beides mit einem ›A‹. Von daher …
Judas Priest schenke ich fast gar keine Aufmerksamkeit. Als ich meinen Picasso, oder doch besser Kindermalerei fertig habe, ist der innere Akku wieder verdammt leer. Ich entschließe mich zum Zelt zurück zugehen. Rechts von mir knallt eben Judas Priest alles an die Wand. Eigentlich ein Sakrileg, dass ich denen nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe. Man muss auch mal blöde Entscheidungen treffen.
Am Zelt selber stimmt etwas mit dem Gesamtbild nicht. Ein Zelt fehlt. Torbo und Svantje haben zusammengepackt. Der Kreislauf. Nicht schon wieder protestiere ich leicht. Im letzten Jahr mat man mich wegen rektaler Dysfunktion zurück gelassen. Damals bin ich das erste Mal dort gewesen. Irgendwie scheine ich eine schlechte Aura zu haben. Es war Torbo, der mich nach Wacken gequatscht hat. Über Jahre. Jetzt fahre ich mit hier her und was ist? Beide Male werde ich alleine zurückgelassen. Eine Mitabreise lehne ich, wie im Vorjahr, entschieden ab. Dafür ist mir das Ticket einfach zu teuer. Außerdem: Ich habe eine vorlaute Klappe. Besonders hier, in der Oase des Sarkasmus, werde ich keine Probleme haben, Leute kennenzulernen. Was bleibt, ist die Endtäuschung, dass ich diese Tage wieder nicht mit meinem Kumpel verbringen kann …

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