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Was soll die Panik? Gar nichts los!

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05.05.2019

In der Nacht hätte eine Bombe explodieren können, ich hätte nichts davon mitbekommen. Und doch wache ich erneut weit vor dem ersten Ton des Weckers auf. Ich laufe durchs Zimmer und kontrolliere meine Schuhe und die anderen Klamotten, die ich beim Radeln trage. Bis auf den rechten Treter ist alles abgetrocknet. Perfekt! Danke noch mal an den Hotelier, der noch vor meiner Ankunft am gestrigen Tag die Heizung angemacht hat. Ich darf sogar das Ladekabel für mein Pad mitnehmen, worüber die Streckenaufzeichnung läuft. Ich versichere, dass ich es zurücksende, sobald ich wieder zu Hause bin.

Bild 1: Ein herrlicher Morgen – Bild 2 & 3: Den Rehen gefällt es auch …

Nachdem ich ein ausgiebiges Frühstück genossen habe, geht es also wieder auf die Straße. Ich gebe Bad Neustadt an der Saale in das Navi ein. Genauso, wie ich es vor zwei Jahren gemacht habe. Damals riet mir eine Autofahrerin, dass es hier doch einen schönen Radweg geben würde und ich nicht auf der viel befahrenen Straße radeln müsse. Da ich damals aber nicht wusste, ob mich dieser Weg Richtung Neustadt bringen würde, bin ich auf der Hauptstraße geblieben. Heute ist es anders. Genau diesen Radweg erwische ich. Zwar nicht lange, es reicht aber, dass ich einen schönen Eindruck darüber bekomme. Es sind schon eine Menge Leute hier unterwegs. Kann aber auch sein, dass heute Sonntag ist. Hat die Wettervorhersage heute Regen und Schnee angesagt, bin ich dankbar, dass sich die Vorhersage nicht bewahrheitet hat. Zumindest nicht bis jetzt. Eigentlich kann man sagen, dass das Wetter gigantisch ist. Der Himmel ist strahlend blau. Wolken hängen dicke Wattebäusche gleich über das ganze Firmament verteilt und durch deren Lücken lacht die Sonne.

Bild 1 & 2: 2017 zu 2019 auf dem Witschaftsweg hinter Rügheim – Bild 3 & 4: Ein weiterer Vergleich hinter Wettringen

Nachdem ich den Radweg verlassen, und einem Feldweg gefolgt bin, lande ich doch wieder auf der Hauptstraße. Abermals nicht lange. Jetzt spielt mir aber das Erinnerungsvermögen in die Karten. Denn hier bin ich schon gewesen. In dem kleinen Örtchen Rügheim geht es dann über bekannte Wirtschaftswege. An einer bestimmten Stelle mache ich wie vor zwei Jahren ein Foto. So dieser damals und heute vergleich. Die Aussicht ist herrlich. Und dennoch muss ich eine gewisse Vorsicht walten lassen. Denn obwohl ich gewaltig am Schwitzen bin, darf mich das nicht in Versuchung führen. Es ist verdammt kalt. Immer wieder vergleiche ich die gefahrenen Kilometer mit denen von vor zwei Jahren. Gewissermaßen ist es zwar Quatsch, da ich damals von woanders aus gestartet bin, dennoch bekomme ich die Gedanken nie aus dem Kopf heraus.

Was mir nicht mehr bewusst war, wie viele Wirtschaftswege ich damals in diesem Bereich gefahren bin. Zwischendrin stelle ich mir immer wieder die Frage, ob ich hier damals wirklich mit Lotte entlang geradelt bin. Dann kommt aber wieder solch ein signifikanter Punkt, dass die Antwort ganz klar ›Ja‹ lautet. Der Fahrtwind säuselt mir um die Nase. Der Raps blüht im herrlichsten Gelb. Das junge Getreide zeigt sich in einem helleren Grün. Durch einzelne kleinere Windböen schwingt das Korn hin und her und zeichnet schöne Wellenmuster über die weiten Flächen. Die Vögel tanzen durch die Luft und singen ihre Lieder. Ab und an brummt eine dicke Hummel vorbei. Laufkäfer flitzen über die Straße oder verweilen und genießen die vom Asphalt gespeicherte Sonnenwärme. Menschen begegnen mir kaum. Und wenn sind es ebenfalls Radler, die wortlos an mir vorbei sausen. Eine Wandergruppe treffe ich. Aber auch mit denen findet, außer ein flüchtiges ›Hallo‹, kein Austausch statt.

Bild 1 & 2: Viele Wirtschaftswege an diesem Tag – Bild 3: In der Ferne die Rhön

So schön, wie die Landschaft und das Wetter sich mir heute präsentieren. Irgendwie habe ich mit wachsender Kilometerzahl Probleme. Der Hintern. Die Beine. Der gestrige Tag hat Kraft gekostet. Die Steigungen heute machen das Ganze nicht einfacher. Hin und wieder schiebe ich das Fahrrad ein paar hundert Meter. Hauptsache nicht sitzen. Die Beine ein paar Minuten etwas anders belasten. Es ist jetzt nicht so, dass es mich aufregt. Es war abzusehen, dass meine vier Buchstaben das nicht ohne Zicken über sich ergehen lassen würden.

Als ich die Klosteranlage Maria Bildhausen hinter mir lasse und auf dem letzten Anstieg vor Bad Neustadt bin, bleibe ich kurz stehen. Ich lasse den Blick einmal im Kreis schweifen. Dann schießt es mir in den Kopf. Ey, vor zwei Jahren bist du hier mit Anhänger und Hund rüber geastet. Wie bescheuert bist du eigentlich? Jetzt bist du schon wieder mit dem Fahrrad hier! In diesem Moment wirkte es das alles etwas unwirklich auf mich. Keine Ahnung, warum mich das in diesem Moment gerade hier gepackt hat. Ich verharre noch einen Augenblick, ehe ich mit wehenden Haaren ins Tal rausche. Weil ich ja auch so viele Haare auf dem Kopf habe. – In meiner kleinen Welt wehten sie jedenfalls.

Ich durchquere die Stadt und gelange an die Bundesstraße, die mich nach Gersfeld bringen soll. Oder besser bis Oberweißenbrunn. Ein kleines Örtchen am Hang der Schwedenschanze. Über diesen Berg muss ich noch rüber, um schließlich auf den R1, den Fuldaradweg zu stoßen. Warum das Ding Schwedenschanze heißt, weiß ich allerdings nicht. Vielleicht hat man da früher die Skandinavier rüber geballert? Nein, Spaß. Wobei …

An dieser Stelle muss ich einmal etwas von der Nacherzählung abweichen, denn ich habe recherchiert. Der Berg heißt gar nicht Schwedenschanze sondern Reesberg. Der Schwedenschanze ist ein mittelalterliches Wehrkonstrukt an dessen Osthang. Die Leute bezeichnen ihn nur als Schwedenschanze. Selbst wenn man auf der Kuppe steht, also da, wo die Bundesstraße dann wieder talwärts nach Gersfeld führt, kann man ein Schild ›Schwedenschanze‹ entdecken. So hat es sich wohl eingebürgert, dass die Leute dort den Reesberg Schwedenschanze betiteln. So meine Vermutung. Aber zurück zur Nacherzählung:

Das Gemeine an dem Berg ist, dass der Anstieg bereits am Ortsausgang von Bad Neustadt beginnt. Über zwanzig Kilometer stetig bergauf. Die Steigung als solches ist jetzt nicht die große Nummer. Dass sich das aber über diese Entfernung zieht, das ist es, was einem auf lange Sicht das Genick bricht. Meine Beine wollen schlicht nicht mehr. Es ist ein Wechsel aus Radfahren und Schieben. Und dieser Abschnitt kostet mich Zeit. Viel Zeit. Das selbstgesteckte Ziel war heute im Hellen anzukommen wackelt. Die Ankunftszeit auf dem Navi verschiebt sich immer weiter nach hinten. Zwischendrin schalte ich den Bildschirm einfach aus. Es zieht einen regelrecht herunter.

Wieder einmal schiebe ich das Rad ein kurzes Stück. Neben mir rauschen die Autos über die Bundesstraße. Zumindest gibt es hier einen Fahrradweg. Der bei Schönau dann aber gesperrt ist. Also muss ich einer Umleitung folgen. Einem Schotterweg, der mich an den Fuß des Käulingsberges führt. Jenen Berg, mit dem ich mich vor zwei Jahren angelegt, und völlig unterschätzt habe. Zumindest muss ich nicht mehr an der Bundesstraße fahren beziehungsweise schieben. Unter mir plätschert der Brend. Um mich herum ist Wald. Der Duft von Harz steigt mir in die Nase. Das frische Grün der austreibenden Nadelbäume. Es lässt mich meine Erschöpfung einen Moment vergessen.

Bild 1: Die Brend – Bild 2: Durch den Wald nach Bischofsheim – Bild 3: Kurz vor Oberweißenbrunn

Bei Wegfurt entdecke ich ein Gasthaus, welches geschlossen ist. Knappe fünfzehn Kilometer vor dem Ziel erhoffte ich mir etwas Warmes. Denn groß Pausen habe ich bis hier her nicht gemacht. Das merke ich nun. Eigentlich merke ich es schon die ganze Zeit. Letztendlich reiße ich mich aber zusammen. Mit letzten Reserven lasse ich Bischhofsheim und Frankenheim hinter mir und schaffe das von mir gesteckte Ziel doch noch. Die Etappe im Hellen zu beenden. Und das Beste? Nicht eine Schneeflocke. Aber schön war es am Ende nur bedingt. Also körperlich. Landschaftlich und wettertechnisch lasse ich auf diesen Tag nichts kommen. Endlich sitze ich in der Wirtschaft und gönne mir etwas Warmes. Zwischendurch komme ich mit Herren ins Gespräch, die über mehrere Tage bis nach Thüringen wandern wollen. Auch sie haben mit Blessuren zu kämpfen. Einer von ihnen wird von Blasen geplagt. So hat jeder seine Wehwehchen. Heute muss ich Treppen steigen, um in mein Zimmer zu kommen. Auf allen Vieren muss ich die Stufen zwar nicht nehmen, aber ich bin nahe dran.

Fahrstrecke: 72,51 km
Höhenmeter: 873 m
Zeit: 6:31 h
D.-geschw.: 11,10 km/h

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