Weiter! Immer weiter!
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06.05.2019
Ich bezwinge den Wecker abermals, bleibe aber unmotiviert liegen. Die Beine fühlen sich nicht gut an. Die Muskeln brennen. Generell habe ich heute Morgen nicht wirklich Lust mich überhaupt zu bewegen. Letztendlich schäle ich mich dann aber doch aus dem Bett. Am Frühstückstisch treffe ich zwei Damen, die wie die Herren am Vorabend eine mehrtägige Wandertour machen. Auch sie wollen es bis nach Thüringen schaffen. Wir unterhalten uns etwas über das Wetter der Vortage. Dass jeder von uns auf seine Weise den Wettergott der Strapazen wegen verflucht hat. Letztendlich geht es aber für alle auf die nächste Etappe.

Ich muss es heute bis Melsungen schaffen. Dort kann ich dann zwei Tage Pause machen und so lange im Bett liegen bleiben, wie ich will. Aber bis dahin sind es noch einmal um und bei einhundertdreißig Kilometer. Ich könnte auch dem Navi folgen. Dann wäre es etwas weniger an Weg, den ich bewältigen muss, hätte dann aber erneut Steigungen, die ich überwinden muss. Nein. Ich möchte an der Fulda entlang fahren. Den Weg kenne ich und gerade der Abschnitt zwischen Gersfeld und der Stadt Fulda ist wunderschön. Bevor ich allerdings dort radeln kann, muss ich die letzten Höhenmeter der Schwedenschanze beziehungsweise des Reesberges bezwingen.
Auf der Kuppe dieser Erhebung lasse ich den Blick über das Fuldatal schweifen. Die Ruhe wird nur von der Geräuschkulisse der Maschinengewehrsalven im naheliegenden Militärgebiet gestört. Nachdem ich wieder einmal mit wehenden Haaren ins Tal gerauscht bin, beginnt ein weiterer Abschnitt dieser Reise, auf den ich mich besonders gefreut habe. Wie schon erwähnt: Der Streckenverlauf zwischen Gersfeld und der Stadt Fulda. Ähnlich wie zwischen Neumarkt und Nürnberg sind es gute vierzig Kilometer, die man einfach mal gesehen haben sollte. Was besonders angenehm ist, man hat hier das Gefühl bergab zu fahren. So wirklich. Zwar rauscht man nicht mit fünfzig Klamotten durch die Weltgeschichte, dennoch kann man auf dem Tacho eine leichte Geschwindigkeitszunahme erkennen.
Man fährt quasi die ganze Zeit, bis auf wenige hundert Meter stets auf einem schmalen Wirtschaftsweg. Mal links, mal rechts der noch jungen Fulda. Neben einem läuft das einzelne Gleis der Rhönbahn. Was hier besonders fies ist, die Bahnübergänge haben nahezu alle keine Schranken. Man muss also aufpassen. Oder man lauscht nach dem Horn der Lokomotive, die vor jedem Übergang einmal laut lostutet. Wenn man sich darauf nicht hat, fährt einem ein riesiger Schreck in die Glieder. So ist es mir passiert. Ich gondel verträumt durch die Landschaft, da haut es mir doch hoch und schrill in die Ohrmuschel. Ich wäre ja fast vom Rad gefallen. Mein Herzschlag kommt dem Flackern eines Stroboskops gleich. Der Lockführer hat sich bei meinem Anblick bestimmt eingenässt. Himmel noch eins. Dabei ist der Bahnübergang noch mehrere hundert Meter weg. Aber ich bin ja nicht ganz so doof. Hier ist frühzeitig Warnen die Devise.
Irgendwann entdecke ich einen Biergarten am Wegesrand. Also einen Moment aus dem Sattel und anderweitig hingesetzt. So wirklich offen scheint der Laden nicht zu sein. Doch. Aus einer Tür im hinteren Teil des Gebäudes höre ich Stimmen. Ich mache mich bemerkbar und bekomme schließlich mein Kaltgetränk. Es folgt ein kurzer Plausch über meine Route. Über die Fahrraddichte auf dieser Strecke dieser Tage. Dass schon recht viele hier entlang kommen. An warmen Tagen seien es aber zumeist die Menschen aus den umliegenden Dörfern. Bei der Schönheit dieses Streckenabschnittes kann ich das gut nachvollziehen. Einfach raus und ein paar Kilometer an der Fulda entlangfahren. Schlussendlich in ein Wirtshaus einkehren und der Tag ist schnell rum. So an einem Sonntag? Perfekter Gedanke. Aber heute ist nicht Sonntag. Es ist Montag.

Ähnlich vor Nürnberg, kommt vor der Stadt Fulda ein wenig Wehmut hoch. Es hat echt Spaß gemacht, hier zu radeln. Also, schon wieder. Auf den Wegen im Stadtgebiet treffe ich auf einen anderen Fernradler. Endlich mal, denke ich. Ein Pole, der von Danzig aus aufgebrochen ist. Er möchte es bis nach Gibraltar schaffen. Ihm stehen die Pyrenäen im Weg. Für dieses Reiseprojekt hat er sich drei Monate Zeit gegeben. Na, dann mal los, denke ich. Respekt. So trennen sich unsere Wege wenige Minuten später wieder.
Hinter Fulda beginnt dann wieder ein anderer schöner Abschnitt. Das Flusstal ist hier schon sehr viel breiter. So führen die Wege mal dichter am Wasser entlang, aber auch viel weiter weg. Man fährt zwischen den zahllosen Wiesen und Feldern ziemlich viel Zickzack. Man könnte sich nun darüber aufregen, dass man nicht den direkten Weg am Flussufer fahren kann, so, und das gefällt mir dann persönlich sehr gut, passiert jedenfalls etwas. Man muss etwas auf die Beschilderung achten, dann läuft es reibungslos.
Gute zehn Kilometer vor der Stadt Schlitz stehe ich mitten im Wald und gönne mir eine kurze Getränkepause. Da kommt eine ältere Dame auf ihrem Schummelfahrrad angebraust. Sie würde aus Rothenburg an der Fulda kommen und möchte bis nach München. Wie sie fahren möchte, frage ich. Durch die Rhön ist ihre Antwort. Also fährt sie in etwa den Weg, den ich bereits in den Beinen habe. Dann müssen sie ja über den und den Berg rüber, meine ich, was die Dame als nicht so schlimm erachtet. Dann sagt sie etwas, was mich innerlich schon wieder provoziert. Dass ich ja gar kein ›Motörchen‹ habe. Die Wortwahl plus die Stimmlage. Sie hat es sicher nicht so gemeint, dennoch verspüre ich leichten Unmut in mir. Ich gebe ihr schließlich zu verstehen, dass ich es noch bis Melsungen schaffen, und mich etwas ranhalten muss. Dann müsse ich noch an die neunzig Kilometer bewältigen ruft sie mir noch nach. Danke, denke ich.
In dem kleinen Örtchen Pfordt halte ich an dem Landgasthof Porta an. Jener Gasthof, wo ich mit Lotte vor zwei Jahren zwei Nächte verbracht haben. Heute ist Montag und eigentlich ist Ruhetag. Zumindest hat das Internet das so gepetzt. Die Tür ist aber offen. Also schaue ich hinein. Ruhetag ist wirklich. Jedoch hat man für einen Beerdigungskaffee geöffnet. Da möchte ich natürlich nicht stören. Ein Getränk auf die Schnelle bekomme ich trotzdem. Nachdem dann auch das Erinnerungsvermögen der Gastwirtin den nötigen Impuls bekommen hat, entwickelt sich noch ein schönes und kurzes Gespräch. Da kommen dann aber die Trauergäste und ich bin zügig verschwunden.

Es folgen Kilometer durch Waldabschnitte. Vorbei an Raps und Getreidefeldern. Wie eigentlich die letzten Tage auch schon. Das Wetter meint es abermals gut mit mir, bis auf das es kalt ist. In Bad Hersfeld treffe ich dann einen weiteren Radreisenden. Ein Herr, jünger als ich, der über die Alpen bis ans Mittelmeer möchte. Es folgt ein Plausch über Schlafstätten. Wie ich das so mache. Worauf ich in knappen Worten meine Kriterien und derzeit herausgefundenen Möglichkeiten aufzähle. Wie, dass ich bei Leuten frage, ob man eine Nacht im Garten bei ihnen verbringen dürfe. Wie so oft höre ich die Gegenfrage, ob das so reibungslos funktioniert. Was ich bejahe. Als Radreisender, oder Wandersmann kann man sich als Sonderling betrachten. Auch wenn das Radreisen immer mehr zunimmt. Sonderling bleibt man dennoch. Das Gute: Einem Sonderling wird schnell mal Hilfe angeboten, oder die Bitte nicht ausgeschlagen. Und wenn es nur eine Nacht im Garten ist. Auch gäbe es ja mittlerweile viele Apps für Smartphonebesitzer, wo man ein breites Spektrum an Programmen nutzen kann. Schnell einige Beispiele genannt und man trennt sich wieder.
Während ich weiter durch die Lande gondel, rufe ich in meiner Pension in Melsungen an, dass es spät werden könne. Die Pausen vor Fulda und in Pfordt haben dann doch mehr Zeit verschlungen, als gedacht. Wobei wohl eher, dass ich den Weg etwas unterschätzt habe. Die Windungen des Flusses lassen die Kilometerzahl wachsen und wachsen. Kurz hinter friedlos erblicke ich am Wegesrand ein Model unserer Sonne. Hier ist das also, denke ich ich frage mich schon einige Zeit, wo der Planetenlehrpfad noch war. Ich ›spiele‹ quasi Raumschiff und brause von der Sonne weg und an den anderen Planeten vorbei.
Als ich Rothenburg an der Fulda erreiche, fehlen mir noch immer dreißig Kilometer. Gedanklich bin ich in eine Art Tunnel geraten. Ich seh, bis auf wenige Ausnahmen, nur noch Straße. Vielleicht schaffe ich es ja noch vor zweiundzwanzig Uhr. Aber ich muss beißen, was meinem Hintern nicht unbedingt gefällt. Ich brauche die zwei Tage Pause. Unbedingt. Was mich wundert, ist, dass die Beine seit ich in der Ebene unterwegs bin kaum noch Probleme machen. Es lässt sich alles gut wegstrampeln.

Vorbei an Heinebach, wo ich noch einmal einen größeren Erinnerungsschub bekomme. An der ICE-Brücke noch einmal ein damals gegen heute Vergleichsfoto gemacht, ehe ich von den schmalen Asphaltwegen wegkomme und am Straßenrand weiterradeln muss. Die Erinnerungen von früher sind an dieser Stelle aber auch nötig. In Binsförth bin ich damals falsch abgebogen und habe mich damals einen Berg hochgequält, den ich nie hätte besteigen müssen. Auch falle ich dieses Mal nicht auf die Seilfähre für Radler rein, sondern bleibe auf der Hauptstraße. Da die Abenddämmerung immer näher kommt, ist die Fähre bestimmt nicht mehr in Betrieb. Im Folgedorf biege ich früher ab als damals und umgehe so die Kilometer, die ich damals mit Lotte an der Bundesstraße fahren musste. Hier fährt es sich auch wesentlich angenehmer. Ein Fuchs huscht quer über den Weg.
Schließlich schaffe ich es, vor meiner gesteckten Zeit in Melsungen anzukommen. Allerdings ist es schon dunkel. Da es dort kein Fahrradschuppen gibt, darf ich das Fahrrad mit ins Zimmer nehmen, das zum Glück im Erdgeschoss ist. Völlig erledigt falle ich ins Bett und freue mich über die zwei Tage Pause. Schlussendlich bin ich aber sehr zufrieden, wie die letzten drei Tage abgelaufen sind. Hinzu kommt ein neuer persönlicher Tagesrekord für die weiteste Strecke.
Fahrstrecke: 140,70 km
Höhenmeter: 670 m
Zeit: 9:13 h
D.-geschw.: 15,28 km/h
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