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Die Weser nervt!

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10.05.2019

Früh morgens stehe ich auf und gehe zu dem Hotel, wo ich am Vortag nicht hineingekommen bin. Durch Zufall habe ich am Vorabend noch Gäste von hier getroffen und gefragt, wann denn Personal vor Ort sei, dass ich meinen Unmut etwas kundtun kann. Ich ergreife die Türklinke und die Tür öffnet sich wirklich. Aber wo ist die Rezeption. Das ist ein Flur, wo ich jetzt stehe. Ich mache mich durch Rufen bemerkbar. Nichts passiert. Nichts ist zu hören, niemand ist zu sehen. Ich gehe einige Schritte. ›Gaststube‹ steht an einer Tür. Sie ist offen. In den Räumlichkeiten ist niemand. Auch nicht in der Küche. Nicht im Büro. Nirgends ist eine Menschenseele. Aber alle Türen sind unverschlossen. Wenn hier nun jemand mit einem Hauch an krimineller Energie herumlaufen würde, der könnte sonst was machen. Es ist doch verrückt. Wie kann der Laden funktionieren? Ich rufe die mobile Telefonnummer noch einmal an. Besetzt. Das ist doch nicht normal.

Als ich den Vorplatz wieder betrete, hält ein Auto auf dem Parkplatz. Direkt auf einem ausgeschilderten Stellplatz für jenes Hotel. Da scheint die Chance doch groß, dass der Herr hier hergehört. Und wirklich. Es ist sogar der Chef persönlich. Es folgt ein kurzer, dezent verschnupfter Dialog. Dann lasse ich den Typ seiner Wege gehen. Soll er machen, wenn er so meint, wie er meint. Ich habe letztendlich ein Bett für die Nacht bekommen. Er hingegen hat Geld verloren. Beziehungsweise nichts verdient. Soll mir egal sein. Auf mich wartet Frühstück. Also schnell zu meiner Unterkunft zurück und den Bauch dick gemacht.

Bild 1 & 2: Auf dem Weg zwischen Polle und Hameln – Bild 3 & 4: Die Holländer Windmühle bei Tündern

Vom Vorabend und auch heute höre ich den Ratschlag, dass ich die Flussseite wechseln soll. Der Weg auf dieser Seite führt fast ausschließlich an der Hauptstraße entlang. Hinzu würden Berge kommen. Dann wechsel ich doch auf das Ostufer. So bekomme ich zumindest die Möglichkeit mit einer der Seifähren zu fahren. Der Himmel heute Morgen ist wolkenverhangen. Windig ist es geworden und es schaut doch sehr verdächtig nach Regen aus. Was mache ich da? Gleich in Regenklamotten losradeln oder warten, bis die ersten Tropfen fallen? Ich entscheide mich für eine Zwischenlösung. Die Regenjacke an, die Hose noch nicht. So geht es auf die Straße.

Es folgt Flusswindung an Flusswindung. War ich gestern echt schnell, lege ich heute ein Schneckentempo an den Tag. Egal, in welche Himmelsrichtung ich strampel, ich habe gefühlt immer Gegenwind. Da beginnt auch der erahnte Regen. Das scheint heute ja ein ganz toller Tag zu werden. Also die Tasche vom Gepäckträger und die Regenhose herausgekramt. Als ich weiterfahren möchte, dringen ganz neue Geräusche an mein Ohr. Was ist denn jetzt? Ich blicke auf den Kettenapparat. Mein Gummizampel hat sich darin verheddert. Ich habe vergessen, die Gepäckträgertasche wieder zu sichern. Als ich mich in Bewegung gesetzt habe, haben die Speichen den Gummizug in den Antrieb gezogen. Das wird ja immer besser, denke ich. So hocke ich vor meinem Rad und versuche das Chaos zu entwirren. Noch dazu ist der eine Klemmhaken total deformiert. Hoffentlich reicht es noch, dass ich die Tasche wieder sichern kann. Ich habe diesbezüglich kein Ersatz dabei. Einige Minuten später ist der Kettenlauf wieder frei und auch die Tasche kann ich noch sichern. Selbst der Regen hat aufgehört. Also Regenklamotten wieder ausgezogen.

Abermals folge ich dem Weserfluss durch eine lang gezogene Kurve. Es nervt. Im letzten Bericht bereits erzählt, hat man Luftlinie nicht wirklich viel geschafft. Aber die Strecke ist durchaus beachtlich, die man am Boden zurückgelegt hat. Vor allem, als ich heute Morgen in diesem Hotel das Personal gesucht habe, ist mir eine Streckenkarte vom Weserradweg ins Auge gesprungen. Würde ich die ganze Zeit am Fluss bleiben, hätte ich von Polle bis Nienburg, wo meine nächste und letzte Zwischenstation sein soll, einhundertsiebzig Kilometer in den Beinen. Niemals, war ich mir zu dem Zeitpunkt schon sicher. Niemals werde ich eine solche Tagestour fahren. Nicht heut. Einhundertfünfzig war schon äußerst viel. Und jetzt noch mit dem Wind dabei. Nein. Ich muss raus aus dem Wesertal. Ich muss die Strecke irgendwie abkürzen. Also mache ich das Navi an und schaue mir den Routenvorschlag an. Zwischen Hameln und Minden wäre die ideale Lösung. Zwar sind ein, zwei Berge im Weg, aber ich muss die Distanz, die ich noch fahren möchte, irgendwie verringern.

Kurz vor Hameln entdecke ich am Weserufer ein Wirtshaus, das Mittagstisch anbietet. Das schreit doch nach einer Pause. Mein Hintern mosert auch so langsam wieder. Die Tour gestern war wohl doch etwas viel. Sonderlich viel Betrieb ist just in diesem Moment nicht, als in eintrete. So ist Zeit, dass man mit der Chefin ins Gespräch kommt. Wo ich herkomme, möchte sie wissen. Wo ich noch hinfahre. Was das Zwischenziel für heute ist. Nienburg? Da sei noch eine gewaltige Strecke zu überwinden. Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich aus dem Tal raus will. Diese unzähligen Flusswindungen rauben mir den letzten Nerv. Ja, meint sie, die Weser sei nur etwas, wenn man Zeit hat. Da sei meine Form der Reise unpassend. Ich nicke.

Bild 1 & 2: Weg von der Weser. Jetzt geht es querfeldein – Bild 3: Das erinnert doch gewaltig an die Heimat – Bild 4: Am Mittellandkanal

Nachdem ich schließlich Hameln hinter mir gelassen habe, versuche ich bei Fischbeck an der Weser das Flusstal zu verlassen. Was aber irgendwie doof ist. Ich radel nun am Talhang entlang und komme nicht hinüber. Außer ich nehme Waldwege. Danke, kein Interesse. Wenn ich nach Hessisch Oldenburg gefahren wäre und von dort den Versuch gestartet hätte, wäre es besser gewesen. Letztendlich gelange ich an eine Straße, die über den Kamm hinüberführt. Ein Fahrradweg gibt es nicht. Der Verkehr ist hier schon ziemlich dicht. Doch über Waldwege fahren? Frag mal erst einmal einen Anwohner im nächsten Dorf. Ich entdecke einen Bauern, der gerade sein Treckergespann fertigmacht. Er rät mir zu den Waldwegen. Wo die anfangen und wie sie verlaufen, kann er mir nicht erklären. Ich runzle die Stirn. Verabschiede mich und beginne auf dem Navi nach einer Möglichkeit zu suchen.

Ich habe mich in einer Siedlung verfranst. Da hält neben mir ein Auto. Ich frage den Fahrer das Gleiche, was ich zuvor den Bauern gefragt habe. Ich bekomme den Tipp doch auf der Hauptstraße zu fahren. Der Anstieg würde kurz hinter dem Dorf, hinter einer Kurve zweispurig werden. Somit hätte ich genug Raum und die Autos würden schon Platz machen. Wenn ich oben auf der Kuppe bin, dann solle ich mich rechts halten. Da würde eine schmale Straße abgehen, die mich über zwei Dörfer ins Tal führen würde. Somit müsse ich mich nicht mit dem Straßenverkehr auf dem Hauptweg anlegen. Das ist doch mal eine Auskunft, mit der man etwas anfangen kann. Los geht’s!

Als ich im Tal in den Ort Rehren hineinrausche, studiere ich erneut den Streckenvorschlag vom Navi. Ich soll noch über den Bückeberg rüber. Ich schaue mich um. Ich kann den Hang zu meiner Linken sehen, ich kann ihn zu meiner Rechten sehen. Ich bin doch nicht blöd. Ich fahre einfach drum herum. Der Herr im Auto meinte auch, ich solle mich Richtung Stadthagen orientieren. Ab da sei das Land dann Platt wie eine Flunder. So schlage ich den Weg nach rechts ein. Die letzten Meter einer kleineren Steigung und ich blicke auf ein etwas unwirkliches Bild. Vor mir liegt die Ebene. Soweit ich schauen kann, nicht ein Berg mehr im Weg. Willkommen in Norddeutschland, denke ich und brause mit wehenden Haaren bergab.

In Lauenhagen spiele ich dann dummerweise mit meinem Leben. Die Reise hat mich bis hierher gebracht und die Konzentration hat mich in dem Moment verlassen. Ich fahre auf eine Kreuzung zu und teile mir die Fahrbahn gerade mit den Autos. Auf der anderen Seite der Kreuzung erblicke ich einen Radweg. Ich weiß nicht, was in mich gekommen ist. Ich sehe nur noch den Fahrradweg und ziehe auf die Kreuzung. Im Augenwinkel kommt plötzlich etwas auf mich zu. Ich trete kraftvoll in die Pedale, höre Reifen quietschen und warte nur noch auf den Knall. Der bleibt zum Glück aus. Auf dem Fahrradweg schaue ich mich um. Auf einer Bushaltestelle hat ein Mercedes gehalten. Ich hebe sofort entschuldigend die Hand und versichere, dass das nicht meine Absicht war. Es sei hauchdünn gewesen, bemerkt der Fahrer. Ich entschuldige mich abermals, frage gleichzeitig, ob bei ihm denn so weit alles in Ordnung sei. Er nickt. Der Schreck säße ihm in den Gliedern. Gut, der sitzt bei mir auch. Ich entschuldige mich ein letztes Mal, dann trennen sich unsere Wege.

Ziel erreicht: Nienburg an der Weser

In dem Ort Münchehagen gelange ich schließlich an die Bundesstraße nach Nienburg. Und diese Straße werde ich auch bis dorthin nicht mehr verlassen. Es ist stinklangweilig. Für den Bruchteil einer Sekunde sehne ich mich nach der Weser zurück. An den schmalen Uferweg mit dem satten Grün am Rand. Ich habe aber keinen Bock mehr auf große Umwege. Ich möchte nur noch in Nienburg ankommen. Ich habe auch bereits in meiner heutige Herberge angerufen, dass es spät werden wird. Der Wind hat mich über den Tag betrachtet, ganz schön ausgebremst. Da sticht mir ein schwerbeladenes Fahrrad ins Auge. Aus der Tür eines Dönerladens kommt gerade der Fahrer des Gefährts. Ein Spanier aus Alicante. Er möchte bis in den Norden Dänemarks. Er hat also das an Strecke hinter sich, was dem Polen aus Fulda noch bevorsteht. Es folgt noch ein kurzes Gespräch, wo ich meine Unterkunft habe. Wo er sein Nachtlager aufschlagen möchte. Es ist alles ein Wirrwarr aus Englisch, Deutsch und Spanisch. Wobei ich nicht ein Wort Spanisch spreche. Dennoch funktioniert es irgendwie. Ich wünsche ihm für das letzte Drittel seiner Reise viel Glück und mache mich weiter Richtung Nienburg auf.

Mit den allerletzten Sonnenstrahlen komme ich schließlich an. Wie manchen Tag zuvor bin ich körperlich total am Ende. Ich habe seit heute Mittag keinen Happen mehr gegessen. Die Klamotten aufs Zimmer und dann noch schnell in die Innenstadt. Vielleicht finde ich noch ein Lokal, wo die Küche um diese Zeit offen ist.

Fahrstrecke: 121,87 km
Höhenmeter: 582 m
Zeit: 8:26 h
D.-geschw.: 14,44 km/h

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3 Comments »

    • Hallo rabebi!

      Die Überschrift ist durchaus provokant gewählt. Landschaftlich ist es unheimlich schön an der Weser entlang. Wenn man Zeit hat, was ich nicht hatte, dann kann man die vielen Flusswindungen wohl echt genießen. Ich hatte ja auch etwas Pech mit dem Wetter. Dir viel Spaß bei Deiner Reise. Genieß die Zeit!

      Gruß Mütze

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