Jetzt kommen die heißen Tage
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23.07.2019
Leise kommt ein Klappern auf mich zu, wird langsam lauter, und als es an mir vorbei zeiht, ertönt als Nebengeräusch ein Surren. Kurz darauf eine ähnliche Geräuschkulisse. Fahrräder. Ich blinzel auf das Display von meinem Telefon. So früh sind die Leute hier schon unterwegs? Es ist nicht mal acht Uhr. Dazu noch Werktag. Naja, wenn die hier bereits umher radeln, dann kann ich mich auch bewegen. Nicht dass da doch noch jemand Fragen stellt, was ich hier mache. Im vorangegangenen Bericht habe ich das ja bereits einmal beschrieben. Komm spät, geh früh.
Kaum aus dem Zelt, beginne ich dann aber doch etwas zu trödeln. Ich kann vom Ding her sowieso nichts machen. Die Fähre fährt erst in zwei Stunden. Eine Stunde früher, als sonst. Das liegt daran, dass die Ostebrücke bei Hechthausen wegen Bauarbeiten gesperrt ist. So kann ich mir also Zeit lassen. Hier etwas gebummelt, dort ein wenig mit Lotte getobt. Zwischendrin gönne ich mir eine Dose Pfirsiche als Frühstück.
Irgendwann kommt ein Auto angefahren. Der Fährmann. Ein kurzes Gespräch folgt. Wie groß der Förderverein der Prahmfähre ist? Wie viele ehrenamtliche Fährmänner es gibt? Der Verein umfasst um und bei dreihundert Mitglieder, wovon zwanzig als Fährmann immer mal wieder auf der Oste sind. Weitere Fahrzeuge erscheinen auf der Bildfläche und wechseln die Flussseite. Schließlich habe ich mein Geraffel zusammengepackt. Ob ich rüber möchte, werde ich gefragt. Da rasselt auch schon die Kette durch die Führung am alten Fährschiff. Langsam, aber stätig schiebt es sich über die Oste auf meine Seite. Lotte muss ich umgehend zu mir rufen. Die steht nämlich bis zum Bauch im Wasser und beäugt das Geschehen. Metallisches Kirschen ertönt, als die Rampe auf den Betonboden absinkt. Ich habe mich noch gar nicht bewegt, da ist Lotte einmal der Länge nach über das Schiff und schaut von der gegenüberliegenden Rampe zurück.

Das Wirtshaus auf der anderen Seite hat noch nicht geöffnet. Dafür ist es nun wirklich zu früh. Zu meiner Begeisterung setzt Lotte einen dicken Haufen auf die Grasfläche vor dem Spielplatz. Was nun jedoch bedauerlich finde ist, dass ich die Hinterlassenschaft wegmachen muss. Nicht falsch verstehen. Lasst mich erklären. Auch wenn es etwas ekelig ist. Vielleicht. Kurz nachdem die Stinkbombe da nun liegt, schillert er in einem satten Grün. So schnell? So viele »Kacke-Fliegen« habe ich lange nicht gesehen. Ich hätte ihnen den Haufen gerne gelassen. Nur an dieser Stelle ist es absolut unpassend.
Ich habe keinen Kilometer geschafft, da hält neben mir ein Auto. Ob ich der Postbote sei, werde ich gefragt. Ich schüttel den Kopf. Ich würde so aussehen mit meinem Wagen. So viel Gelb. In einem dichtbesiedelten Gebiet mag das wohl zutreffen. Aber ein Postbote zu Fuß hier im Nirgendwo? Etwas bescheuert, oder? Gelächter. Nach einigen Erklärungen möchte man ein Foto von mir machen. Okay?! Ein wandernder Postbote, der keiner ist. So einen muss man halt mal ablichten.
Wenige Kilometer weiter schießt mir ein Schreck in die Glieder. Lotte hat zwei Rehe erblickt und fegt in das Getreidefeld. Was anfänglich schlecht ist, wird binnen Sekunden durchaus witzig. Lotte ist zu klein für die Strohalme und springt einem Flummi gleich immer wieder hoch, um zu schauen, wo die zwei Tiere nun hinlaufen. Dadurch verliert sie so viel Raum, dass ich schlicht abwarte. Als die beiden Ricken im Mais verschwinden, hat der Hund verloren. Lotte hat noch nicht mal mitbekommen, dass die Zwei da drin Zuflucht gesucht haben. So hüpft sie einen größeren Bogen im Getreide und kommt wieder in meine Richtung. Dadurch kann ich sie dann recht zügig abrufen. Glück gehabt. Just als ich Lotte in ihre Box gesteckt habe, flitzen die Ricken über die Straße und verschwinden in der Ferne.
Bis Hollenseth passiert dann recht wenig. Außer dass es immer heißer wird. Die Suppe läuft in Bächen von meiner Stirn. Lotte, mittlerweile wieder aus ihrem Gefängnis gelassen, sucht Abkühlung in jedem größeren Gewässer. Mein eigener Wasservorrat ist unterdessen auf wenige Tropfen zusammen geschrumpft. An einem Bauernhof versuche ich mein Glück und frage nach frischem, kalten Nass. Das sei überhaupt kein Problem. Super. Schnell die vier Flaschen wieder gefüllt und ein kurzes Gespräch geführt. Was das für ein Betrieb sei? Milch- oder Mastbetrieb? Milch? Okay. Wie es sonst aussehe? Schlecht? Den Kühen ist es zu warm. Man habe große Sorgen mit dem Mais. Von oben brennt die Sonne und von unten kommen die Mäuse. Das ist mir auch schon aufgefallen, meine ich. Es ist ja fast schon unwirklich, wie viele Löcher im Seitenstreifen sind. Der einzige Bereich, wo keine Mauslöcher sind, ist die Asphaltdecke. Und zwischen diesen Löchern verläuft auch oberirdisch ein schier unaufhörliches Geflecht an Pfaden. Deswegen ist Lotte nach dem Erlebnis mit den Rehen mit der Nase im Straßenwall. Immer wieder springt sie, einem Fuchs gleich, auf ihre vermeintliche Beute. Erfolg hat sie keinen. Ich lasse sie an der Stelle einfach machen. So ist sie beschäftigt und kommt nicht auf dumme Gedanken. Selbst Hase und Reh in der Ferne sind nun egal.
Eine Gruppe Jugendlicher weckt mein Interesse. Auf der anderen Straßenseite stehen alte Traktoren mit Anhängern. Darauf befinden sich Holzhütten. Man komme vom Deichbrand Festival. Auch nicht schlecht, denke ich. Die Hütten haben etwas. Was ich denn vorhabe, werde ich gefragt. Ich laufe? Nach Wacken? Warum? Etwas flapsig antworte ich, weil ich das kann. Da springt mir der Junge im Rollstuhl ins Auge. Wenn das Maul schneller, als das Hirn ist. Ein Sturm der Entschuldigung bricht aus mir hervor. Quittiert wird es mit Gelächter. Was ist? Er könne Laufen. Man habe den Stuhl auf dem Festivalgelände gefunden. Moment. Ihr habt … ? Nein! Da habe ein ganzer Haufen an alten Rollstühlen gestanden. Man habe nur den Besten mitgenommen. Die wurden dort entsorgt. Ich kratze mich am Kopf. Die Stirn in Falten. Okay?!
Mit einer kalten Limo im Gepäck, die man mir gegeben hat, geht es weiter. Irgendwo zwischen Hollenseth und Lamstedt gönne ich mir mit Lotte dann erneut eine Pause. Es ist so unsäglich heiß. Wir suchen Schutz im Schatten größerer Bäume. Einfach mit dem Hintern auf den Radweg gesetzt. Den Rest der Limo getrunken. Dem Hund etwas Wasser gegeben. Da halten Autos neben uns. Ob alles in Ordnung sei? Ich nicke. Bei der Wetterlage wisse man nie. Sehr aufmerksam die Leute hier. Kaum ist der eine Wagen weg, hält ein Nächster. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Für mich selber. Der Hund hat wieder im offenen Gewässer gesessen. Mir brennt der Nacken. Die Atmung ist ein Schnaufen geworden. Eine Werkstatt weckt mein Interesse. Ob ich einmal an den Wasserhahn dürfe? Was ich da möchte, kommt als Gegenfrage. Ich möchte mein Shirt nass machen. Dazu die Schirmmütze. Stirnrunzeln bei meinem Gegenüber.

Was ein herrliches Gefühl. Diese Kälte am Leib. Leider ist es nur von kurzer Dauer. Am Ortseingang von Lamstedt erblicke ich ein Zeltlager. Die Jugendfeuerwehren aus Cuxhaven halten hier ihr Kreiszeltlager ab. Jeder hilft sich, wo er kann. Die vier Steckleiterteile im Karree aufgebaut, Plane drüber, Wasser rein. Fertig ist der improvisierte Pool. Ein Stofflappen wäre nicht schlecht, denke ich. Etwas, das ich über den Nacken legen kann. Im Zeltlager kann man mir nicht helfen. Dafür im Ortskern selber. Ich setze mich bei dem Getränkemarkt mit meinem Campingstuhl einfach hinter die komprimierten Pfandsäcke der Einwegflaschen. Schatten. Eine weitere kalte Limo und ein Eis. Lotte ein Eimer Wasser. So sitze ich gute zwei Stunden in Lamstedt. Eine Besucherin des Getränkemarktes schenkt mir für Lotte einen Karton Hundefutter. Damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet. Danke vielmals. Schlussendlich beschaffe ich mir noch ein Tuch, das ich, wie Shirt und Mütze mit Wasser tränke. So geht es weiter Richtung Odisheim.
Zwischen Mittelstenahe und Stinstedt hält sogar ein Transporter. Ob man mich wohin mitnehmen könne, bietet man mir an. Ich verneine und erkläre, dass ich das gerne zu Fuß machen möchte. So lässt man mich alleine zurück. Da erblicke ich etwas, das ich selber noch nie in freier Natur gesehen habe. Anfänglich sieht es aus wie ein Stück Gummischlauch. Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als Schlange. Eine Ringelnatter, die sich auf dem warmen Asphalt wärmt. Schnell ein Foto gemacht und weiter geht’s.
Gute zwei Kilometer hinter Stinstedt verlasse ich dann die Hauptstraße und laufe am Hadelner Kanal weiter. Hier könnte ich mir eine Übernachtung durchaus vorstellen. Leider ist der Untergrund so schräg. Dazu gefällt es mir nicht, dass das Gras so hoch ist. Außerdem ist hier null Schatten. Werde ich jetzt wählerisch? Ein Auto kommt mir entgegen. Ein Landwirt, der nach seinen Tieren schaut. Zelten könne ich hier überall. Das sei nicht das Problem. Da wird schon niemand etwas sagen. Hmm …
Letztendlich laufe ich noch bis zum nächsten Dorf. Ein Grundstück mit langer Auffahrt und frisch gemähtem Grün weckt mein Interesse. Ob ich hier nächtigen darf? Ich darf. Wenn der Gatte nach Hause kommt, soll ich sagen, dass ich das »Okay« habe. Er könnte etwas kratzbürstig sein, bekomme ich als Warnung mit. Und wirklich. Kaum steht das Innenzelt, kommt ein Auto die Einfahrt rauf. Ich würde mich hier auf Privatgrund befinden, tönt es mir kühl entgegen. Ich verweise auf meine Erlaubnis. Wann ich verschwinden würde? Am frühen Morgen. Somit ist dann alles geklärt. Lotte meint zum Abschluss des Tages den Kühen von nebenan sagen zu müssen, dass sie dort, wo sie sind, nicht hingehören. Hunde …
Laufstrecke: 28,39 km
Höhenmeter: 66 m
Zeit: 5:41 h
D.-geschw.: 4,98 km/h
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