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Ach, das ist dieses »Kalt« von dem sie alle reden.

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26.07.2019

Autos rumpeln über das Kopfsteinpflaster der Hafenanlage. Wie am Vortag werde ich mit Rückenschmerzen wach. Da hätte ich die kaputte Matratze auch behalten können. Die ist aber irgendwo zwischen Lüdingworth und Cuxhaven in einem Mülleimer gewandert. Ich rufe zu Hause an und wünsche mir, dass mein Vater mir eine andere Luftmatratze bringen möge. Nicht jetzt! Das wäre reichlich bescheuert. Es sind noch zwei Nächte, bevor wir uns in Himmelpforten treffen. Dann hat Lotte die Reise überstanden und ich laufe alleine weiter. Immerhin ist sie bis dahin acht Tage bei mir gewesen. Und gefallen hat es ihr wohl auch. Sie kann es mir zwar nicht erzählen, aber vorstellen kann ich mir das schon.

Ich höre Stimmen. Also verlasse ich mein Zelt und werfe einen Blick in die Runde. Die Matrosen vom Krabbenkutter sind eingetroffen. Ob ihr Kapitän schon wieder auf der Höhe sei, frage ich. Er würde daran arbeiten, bekomme ich als Antwort. Die waren aber auch voll am Vorabend. Also packe ich meine Habe zusammen und nehme die nächste Etappe in Angriff. Ich möchte heute irgendwo zwischen Otterndorf und Hemmoor landen. Vielleicht schaffe ich es ja auch, dass ich einen Ruhetag einlegen kann. Wenn ich nur schnell genug bin. Es sind knappe fünfundfünfzig Kilometer bis Himmelpforten. Zwei Tage auf Krawall laufen, dann müsste das möglich sein. Dann könnte ich einen Tag die Beine hochlegen und die Füße etwas ausruhen. Ich könnte endlich einmal Duschen. Klamotten waschen. Eine Generalreinigung, wenn man so will. Ich rufe Burghard an, mit dem ich im Vorwege abgemacht habe, dass ich eine Nacht bei ihm im Hinterhof schlafen darf. Ich sage ihm, dass ich gut im Rennen bin und dass ich wohl zwei Nächte da sein werde. Problem: Er hat mich, laut eigener Aussage »vergessen«. Außerdem musste er familiärbedingt nach Berlin reisen.

Passiert. Zum Glück habe ich heute schon angerufen. Das wäre ja etwas gewesen, wenn ich da vor verschlossener Tür gestanden hätte. Also Planänderung. Ich spiele mit dem Gedanken die Strecke abzuändern und dann von Otterndorf, oder Cadenberge direkt nach Wischhafen zu laufen. Es wären weniger Kilometer und ich kann eine längere Ruhezeit erwirken. Eigentlich perfekt. Nur wo möchte ich schlafen? Da muss ich mir noch einen Kopf drüber machen.

Cuxhaven habe ich unterdessen hinter mir gelassen. Ich laufe an den letzten Industrieanlagen vorbei und lande auf dem Deichweg. Diese Ecke habe ich noch nie gesehen. Ist ja cool hier. Es ist der Elberadfahrweg, der bis zur Quelle führt. Hier ist echt eine Menge los, was Radfahrer betrifft. Das ist mir in Cuxhaven selber auch schon aufgefallen. Sehr viele Langstreckenradler sind auf der Straße. Gespräche entwickeln sich nicht. Dafür brausen sie zu schnell an mir vorbei.

Bis Altenbruch darf ich am Deich laufen. Nicht auf der Wasserseite. Die ist für Hunde gesperrt und ist den Schafen vorbehalten. Ab dem Campingplatz Altenbruch muss ich dann auf die Straße ausweichen, denn die gesamte Deichanlage ist nun für Hunde gesperrt. Schade, aber nicht zu ändern. Durch das Dörfchen Müggendorf komme ich, wie anfänglich gedacht, nicht. Zuvor kann ich auf einen Wirtschaftsweg wechseln, der mir die Entfernung nach Otterndorf ein gutes Stück abkürzt. Hier treffe ich zwei Damen, die mit ihren Hunden unterwegs sind. Nun wird Lotte in ihrer Box ganz nervös. Da möchte jemand raus, laufen und toben. Nach kurzer Rücksprache geht die Post ab. Man hat mich anfänglich für den Postboten hier gehalten. Was haben die nur alle mit dieser Postgeschichte? Nur weil mein Wagen gelb ist? Hier im Umkreis von gut zwei Kilometern ist gerade einmal ein Haus. Warum sollte ein Postbote hier zu Fuß unterwegs sein? Eine gewisse Zeit lang laufen wir nun zu sechst über diesen Weg. Die Mädels würden auf dem Campingplatz in Otterndorf Urlaub machen. Dort sei es aber schwer, die Hunde einmal frei laufen zu lassen. Also kommt man hier her. Wo man hier herauskommt, wenn man die Straße bis zum Ende gehen würde, möchten sie wissen. Otterndorf. Recht dicht an den Ortskern heran. So weit möchten sie aber nicht mit ihren Hunden gehen. So bin ich wieder alleine unterwegs.

Während ich nun in der Einsamkeit umherdümpel, kommt mir der Gedanke etwas zu tun, was ich auf meinen vorangegangenen Reisen nie gemacht habe. Inspiriert durch andere Radreisende, oder Wanderer, deren Geschichten ich mal im Internet verfolgt habe. Ich möchte versuchen über die Sozielen-Netzwerke einen Schlafplatz mit Dusche zu finden. Vielleicht habe ich Glück und darf auf diesem Weg neue Menschen kennenlernen. Aber ich brauche ein W-Lan Signal. Mein Telefon kämpft schon seit gut drei Tagen mit der Anbieterdrossel. Auf einer Tankstelle habe ich Glück. Auch nutze ich die Zeit, um eine längere Pause zu machen. Irgendwie ist die Motivation eine weitere Etappe jenseits der fünfundzwanzig Kilometer zu laufen nahe null. Ich weiß, dass ich anfänglich geschrieben habe, wenn ich mich ranhalte, dann kann ich früher an dem und dem Ort sein. Nur habe ich gerade einen Durchhänger. Der Zuspruch der Leute im Netz ist groß. Aber eine Schlafmöglichkeit im Raum Wischhafen hat sich noch ergeben. Ich muss weiter.

Bild 1 & 3: Auf dem Elberadfahrweg – Bild 2: Ein Austernfischer mit seinem Jungtier

In Otterndorf herrscht ein wildes Gewusel. Es ist dieses Wochenende Altstadtfest. Die Schausteller und Budenbesitzer sind alle emsig am Aufbauen. Teilweise sind die Straßen so verstopft mit querparkenden Lieferwagen, dass ich mit meinem Handwagen nicht durchkomme. Das nervt mich ja jetzt irgendwie. Lotte in ihrer Box fliegen unterdessen die Herzen zu. So stehe ich im Raum und warte, dass es für mich irgendwann weiter gehen kann. Die Zeit nutze ich, um meine leeren Wasserflaschen aufzufüllen.

Auf einem Parkplatz zwischen Otterndorf und Osterbruch versuche ich noch mal etwas von meinem Proviant zu essen. Der Betonung liegt wirklich auf Versuch. Denn irgendwie habe ich, auf die Wetterlage bezogen teilweise das Falsche mitgenommen. Die Butter ist eine flüssige Matsche geworden. Dazu ist sie umgekippt und sauer. Also weg damit. Einige Kartoffeln sind vergammelt und stinken fürchterlich. Ich hätte mich mehr an die Art von Proviant vom Vorjahr halten, und mehr auf Konserven setzen sollen.

Der Wind ist über den Tag immer stärker geworden und zerrt zusätzlich an meinen Nerven. Ich hatte die ganze Zeit davor keine Probleme mit tränenden Augen und Heuschupfen. Das ist jetzt vorbei. Ich sehe aus, wie ein aufgequollener Hefeteig. Naja, ganz so schlimm ist es wohl nicht, aber ich fühle mich so. Innerlich schreit es in mir nach einer Dusche. Das Verlangen danach ist schon eine kleine Tortur. Das Hemd klebt am Körper. Die Haut brennt vom Salz. Dinge, die mir zwar auch die vergangenen Tage aufgefallen sind. Nur jetzt, am sechsten Tag auf der Straße wird es echt ätzend. Wie müssen sich die Jungs und Mädels fühlen, die generell ohne Dach über dem Kopf hausen? Darüber macht man sich eigentlich kaum Gedanken. Mir brennt es sich gerade auf der Hirnrinde. Letztes Jahr hatte ich durch meine Probleme nach drei Tagen meinen Abholer. Somit habe ich die Erfahrung des absoluten Unwohlfühlens nicht gehabt. Nach zwei Tagen der Ausbesserungen habe ich mich dann wieder aussetzen lassen. Der springende Punkt ist eben, dass ich zwei Tage Pause hatte, die ich nun nicht habe.

Müde setze ich einen Fuß vor den Anderen. Die Augen tränen und jucken. Habe ich Medikamente mit? Natürlich nicht. Ich hatte Wochen zuvor keine Probleme. Jetzt aber. Pech. Da kommen mir zwei Radler entgegen, die auf meiner Höhe anhalten. Das sei ja interessant, jemanden wie mir zu begegnen. Was ich denn vorhabe? Es folgen kurze Erklärungen. Ob mir etwas fehlen würde? Ja. Eine Dusche. Einfach nur eine Dusche. Mit dem Rest werde ich schon anders fertig. Aber diese körperliche Grundreinigung, das wäre es. Ich solle die Ohren steif halten. Ich würde das schon schaffen. Nette Worte, die mir leider kein Stück weiterhelfen. So trennen sich unsere Wege. Ich werfe einen Blick auf das Telefon und warte gefühlt Jahre, bis die nötigen Daten geladen sind. Zuspruch und Leute, die mein Anliegen teilen und verbreiten. Eine Schlafmöglichkeit hat sich nicht ergeben.

Halt mal an! Ich dreh mich um. Die Radfahrer sind umgedreht. Man hätte ein leerstehendes Haus mit Dusche und Bett in Osterbruch. Die Hintertür wäre offen. Darin ein Bad und ein Bett. Es würde viel Gerümpel vom letzten Flohmarkt herumliegen. Da müsste ich etwas aufpassen. Ansonsten sei ich herzlich eingeladen. – Ist das gerade wirklich passiert? Ich stehe wieder alleine auf dem Radweg und blinzel unglaubwürdig aus der Wäsche. Die Radler sind weiter zum Stadtfest nach Otterndorf und haben mir ein Haus angeboten. Ich folge der Wegbeschreibung und stehe vor dem Gebäude. Die Tür ist offen. Im Inneren … kennt ihr den Film »Cabin In The Woods«? Wo eine Gruppe in eine abgelegene Waldhütte gelockt wird, in dessen Keller uralte Artefakte liegen. Jedes Artefakt befreit ein anderes Monster, welches die Protagonisten töten soll. Genau so sieht es hier aus. Ich schaue mich um und erblicke zwei Bilder mit weinenden Kindern. Diese Bilder alleine jagen mir schon einen Schauer über den Rücken. Wo bin ich hier? Ich weiß, dass die abgebildeten Kinder nichts mit der einen Gruselgeschichte zu tun haben, aber gruselig ist es allemal. Welche Geschichte, möchtet ihr wissen? Es soll ein Bild von einem weinenden Knaben geben. Wenn man das bei sich aufhängt, dann sollen im Umkreis der Familie seltsame Dinge geschehen. Unerklärliche Tode und Feuer. Ich habe mich mal eine Weile mit der Thematik beschäftigt und finde es hochinteressant. Zumal in meinem weiteren Bekanntenkreis, bezogen auf das eine Bild, Jahre zuvor Ähnliches geschehen ist.

So, man kann jetzt davon halten, was man will. Gruselig finde ich es dennoch. Mit dem Vorhaben nichts anzufassen, zu verrücken, betrete ich das Gebäude. Wer weiß, was sonst mit mir passiert? Wer jetzt lachen möchte, kann es gerne tun. Immerhin gehe ich hinein. Noch schnell das Nötigste an Gepäck mitgenommen. Der Rest ist pure Exstase. Das ist also dieses »Kalt« von dem sie alle reden?! Ich belasse die Wassertemperatur so. Ein Wunder, dass es nicht laut zischt und alles voll mit Wasserdampf ist. Mit diesem Gefühl der Erleichterung kann jetzt auch gerne irgendein Vieh kommen und mich holen. Das ist mir gerade jetzt völlig egal. Zum späteren Abend kommt es noch zu einem Gespräch mit meinen Gastgebern. Letztendlich schlafe ich zufrieden in einer verrückten, gruseligen Hütte ein.

Laufstrecke: 24,31 km
Höhenmeter: 40 m
Zeit: 4:59 h
D.-geschw.: 4,87 km/h

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