Oh, Gott! Ich weiß das?!
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31.05.2020
Ich hätte Kopfhörer mitnehmen sollen. Viel zu früh werde ich wach. Etwas Musik auf die Ohren, das hätte die Zeit sicherlich besser überbrückt. So starre ich an die Decke. Rolle von einer Seite auf die Andere. Bis um neun hatte ich mir eigentlich vorgenommen zu schlafen. Nichts da. Auf dem Flur höre ich schließlich Rolf umherstapfen. Dann kann ich auch aufstehen. Ob ich nun hier liege oder auf der Terrasse sitze. Das macht dann auch keinen großen Unterschied.
Nach einem ausgiebigen und reichhaltigen Frühstück mit den beiden mache ich mich schließlich daran, meinen Weg fortzusetzen. Aber nicht alleine. Man möchte mich begleiten. Zumindest einige Kilometer. So sitzen wir alle drei kurze Zeit später im Sattel und radeln drauf los. Rolf fährt voraus und führt mich das erste Mal so richtig an die Oste heran. Wir fahren hinter einer Siedlung entlang und an den Straßenlaternen kleben wegweisende Schilder. Das ist der Ostewanderweg. Auch die Oste hat, wie die Este nicht nur einen eigenen Radweg, nein, auch einen eigenen Wanderweg. Ist ja cool! Im Gegensatz zum Vortag hat der Wind an Kraft dazu gewonnen. Und natürlich kommt er aus der Richtung, wohin mein Weg mich führt. Wie schön!

Wir verlassen Sittensen und haben für einen kurzen Moment die Ramme neben uns. Einen Zufluss der Oste. Wenige Kilometer später queren wir die Autobahn. Fahren über Wirtschafts- und Waldwege. Asphalt. Schotter. Ein bunter Mix an Straßenbelägen. Heute sind schon deutlich mehr Menschen unterwegs. Mag sein, weil heute Pfingstsonntag ist. Da ist die Fahrraddichte generell höher. Bis Weertzen fahren wir gute fünfzehn Kilometer zusammen. Nach einer kurzen Verabschiedung mit besten Wünschen bin ich dann wieder alleine. Von hier an lasse ich es einen Hauch gemütlicher werden. Ich brauche mit keinem E-Bike mehr mithalten. Beginne regelrecht zu trödeln. Hier angehalten und dort gestoppt. Hier ein Foto und auch dort. Den großen Wegweiserstein mit dem Symbol vom Jacobsweg betrachtet und weiter nach der Beschilderung gesucht, die mich meinem Ziel näher bringen soll.
Ähnlich wie gestern kommt es vor, dass ich zwar der Radbeschilderung folge, das Symbol für den Osteradweg aber verschwindet. Dafür lande ich wieder auf dem Wanderweg. Besonders zwischen Godenstedt und Oberochtenhausen passiert es mir häufig. So gelange ich zwar dichter an den Fluss heran, oder laufe am Ufer kleinerer Baggerssen, was landschaftlich absolut schön ist. Dafür werden die Pisten aber auch mal sehr sandig. Was zur Folge hat, dass ich schieben muss. Letztendlich ist es aber Jammern auf hohem Niveau. Die Kulisse ist nur zu empfehlen. Ein Vorteil: Die Wanderwege sind, gefühlt, besser ausgeschildert. Man kommt schon an sein Ziel. Selbst wenn man nicht zu einhundert Prozent weiß, wo man eigentlich ist.
Bremervörde ist auch wieder ein solches Beispiel. Ich komme durch Parkanlagen in die Stadt und finde dann keinen großen Hinweis, wo es jetzt weiter geht. Ich weiß, dass hier der Osteradweg seinen Namen ändert. Nämlich zur Deutschen Fährstraße. Das hilft mir nur nicht wirklich. Zu spät erkenne ich, dass das Schild, was ich irgendwann erspähe, nicht der Weg für Radreisende ist, sondern für Autofahrer. So lande ich auf der Bundesstraße Richtung Stade. Da will ich ja nun gar nicht hin. Ich versuche irgendwie wieder zur Oste zurück zu kommen. Ich gelange zwar auf Wirtschaftswege und Nebenstraßen, die führen letztendlich aber alle wieder an die Hauptverkehrsader heran. Es ist dieser eine Moment, der mein Gemüt ziemlich vertrüben lässt. Blöde Bundesstraße! Blöde Beschilderung! Da erblicke ich wieder ein Hinweisschild zur Fährstraße für Autos. Dann schlage ich doch diesen Weg jetzt ein. Weg von der Schnellstraße. Sofort wird es wieder idyllischer. Von Elm geht es so über Behrste nach Hude. Vor allem hätte ich in diesem Bereich nicht gedacht, dass die Oste einen solchen Bogen macht, dass ich sie gar nicht zu Gesicht bekomme. Das passiert nämlich erst wieder vor dem kleinen Örtchen Gräpel.

So langsam komme ich aber ins Grübeln. Auf welcher Flussseite ist es günstiger Richtung Oberndorf zu fahren? Auf dieser, wo ich bin, oder auf der Anderen? In Brobergen frage ich den Fährmann der alten Prahmfähre. Ich muss die Flussseite wechseln. Was ich nicht bedacht habe, es ist ein öffentliches Verkehrsmittel. Ich brauche eine Maske. Die habe ich zuhause gelassen. An solch eine Situation habe ich nun gar nicht gedacht. Also ziehe ich mir nach kurzer Diskussion das Shirt über Mund und Nase. Kaum auf der Fähre meint der Fährmann dann doch, dass ich den Quatsch lassen soll. Vor allem für fünfzehn Meter Flussüberquerung an der frischen Luft. Und ich alleine mit ihm auf dem Gefährt bin. Auf der Cuxhavenerseite entschließe ich mich nach kurzer Überlegung doch in dem dortigen Wirtshaus einzukehren. Ein kühles Getränk soll es sein. Die Tische und Stühle im Biergarten sind kilometerweit auseinander gestellt. Man hat einen Tresen an der Hintertür aufgebaut, kann dort aber nicht bestellen. Dafür muss man das Gebäude betreten. Der Tresen draußen ist nur Aus- und Rückgabe. Was ist das denn für eine Logik? Also ich das Shirt wieder über die Nase und rein ins Gebäude. Zumindest würde ich bemüht wirken, meint der Wirt zu seinen Gästen, als ich die Gaststube betrete. Keine zwei Minuten später bin ich wieder draußen. Keine Viertelstunde später ist der Liter Limonade in meinem Bauch und ich sitze wieder im Sattel.
Hinter Hechthausen wird es dann richtig schön. Eine Steigerung der Eindrücke erfahre ich dann noch einmal hinter Hemmoor. Dort muss ich die Oste ein weiteres Mal queren. Von nun an bleibe ich ausschließlich am Ostedeich. Eine Straße, die gerade einmal so breit ist, dass ein Auto ohne Probleme dort fahren kann. Wie eine Schlange windet sich die Fahrbahn am Deich entlang. Noch uriger finde ich die vielen kleinen Häuschen. Zubringerstraßen? Gibt es hier nicht. So kann man die Deichstraße mit einer Hofauffahrt gleichsetzen. Die müssen hier zwei drei Kilometer fahren, bis sie überhaupt an eine Hautstraße gelangen. Oder anders herum, bis sie wieder bei ihren Häusern sind. Dazwischen ist nichts! Gar nichts! Total geil!
Endlich erreiche ich Bentwisch. Dem kleinen Örtchen, wo ich im Vorjahr mit Lotte von der Gruppe Herrschaften, auf meiner Wacken-Wanderung, so freundlich aufgenommen wurde. Ich bin ehrlich und hatte ein wenig spekuliert, ob sie an diesem Pfingstsonntag wieder dort sitzen würden. Leider nein. Dafür ist der kleine Campingplatz gut gefüllt. So gut, dass Teile der Zeltwiese von Wohnmobilen in Beschlag genommen wurde. Toll. Da zwischen den Bäumen wollte ich eigentlich, wie im letzten Jahr liegen. Naja, dann gehe ich halt einige Meter nach links. Dort ist auch ein schöner Platz und die Bäume halten den Wind so weit ab, dass ich mit dem Zeltaufbau keine Probleme habe.
Ja, und jetzt? Es ist noch hell. Der Bauch ist gefüllt. Was mache ich jetzt? Gestern hatte ich Rolf und Heike zum Quatschen. Doch nun? Geh mal zu den Nachbarn rüber. Mehr als wegscheuchen können sie mich nicht. Also ich zu ihnen rübergestiefelt. Keine Minute später sitze ich inmitten der Gruppe, mit Alster und Schnäpsken in der Hand. Eine ganze Bande Ruhrpottler. Okay, sie haben einen Gast aus Bayern und einen Franzosen dabei. Kurz: Dolle Truppe. Es folgen einige Erklärungen beiderseits. Die Einen sind hier hergezogen und haben zu Pfingsten ihre Clique eingeladen. Und damit ihre Gäste nicht alleine auf dem Campingplatz stehen, habe die sich ihren Camper gegriffen und sind die zweihundert Meter hergefahren und stehen hier nun auch. Völlig bekloppt, aber ne coole Nummer. Ob mir der Schnaps zusagt? Ich nicke zufrieden. Der sei doch voll widerlich. Kann ich so nicht behaupten. Er sei selbstgemacht aus Rhabarber und anderen Zutaten. Ich möchte mich nicht beschweren. Na, dann muss ich nun das Aufnahmeritual der Gruppe über mich ergehen lassen. Es hätten alle an diesem Tag schon einmal vollzogen und ich sei als Letzter nun auch an der Reihe. Man reicht mir ein kleines Fläschchen. Braunes Glas. Grüner Plastikdeckel. In meinem Kopf schrillen sämtliche Alarmglocken. Aber ich komme da nicht drum herum. Der Schnaps muss weg.

Himmel, Herr Gott! Was ist das denn?!
In und an mir verzieht sich alles, was sich auch nur ansatzweise verziehen kann. Ich schüttel und rüttel mich. Durch den dumpfen Schleier der Sinnesbetäubung gepaart mit Ekel vernehme ich Gejohle. Was ein abartiges Zeug! Ein Magenbitter, den man an jeder guten Supermarktkasse erwerben kann. Im Leben nicht würde ich das Zeug freiwillig kaufen. Bääh!
Im weiteren Verlauf des Abends beginnt man dann Schlager raten zu spielen. Als ich dann nach dem Ersten. Ach, lass es den zweiten vernommenen Ton sein, Heino mit Barbara brülle, ist es bei mir vorbei. Ich ernte völlig verstörte Blicke und leisen Protest, dass ich den anderen auch mal eine Chance lassen, ich gefälligst einmal Luft holen soll. So vergehen die Stunden in dieser Runde wie im Flug und ich krieche später völlig platt in meinen Schlafsack.
Fahrstrecke: 102,56 km
Höhenmeter: 359 m
Zeit: 6:59 h
D.-geschw.: 14,69 km/h
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Hi, hi, deinen „Aufnahmeschnaps“ haben am übernächsten Tag die Müllwerker dankend angenommen. Falls es deine Kumpels nicht glauben, wir können bestätigen: du bist der Schlagergott. LG von der Frau am Laptop 👩💻
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Hallo, Frau DJane! Schlagergott ist wohl etwas überspitzt. Der Abend als Ganzes hat aber unheimlich Spaß gemacht. Grüße in den Pott! Mütze
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